Vielleicht weiß Putin, dessen Deutschkenntnisse wirklich gut sind, was der Ausdruck, jemand sei „ein toller Hecht“ bedeutet. So einen tollen Hecht soll der russische Präsident vorige Woche in der kleinen asiatischen und zu Russland gehörigen Republik Tywa gefangen haben. 21 Kilogramm schwer, mehr als halb so lang wie Putin groß. Breitbeinig sieht man auf dem dazugehörigen Foto den russischen Präsidenten den Hecht an den Kiemen halten.
„Ein toller Hecht“! Oder besser noch: „Zwei tolle Hechte“! Das ist die Botschaft. Putin ist in diesem Genre nicht neu. Er bedient von Beginn an das Image des „echten Kerls“. Hoch zu Ross. Einen Tiger einschläfernd. Mit der Kalaschnikow vor der Brust. Am Steuer eines Kampfjets. Als Judokämpfer mit schwarzem Gurt. Als Amphoren-Taucher im Schwarzen Meer.
Am Anfang mag diese Zurschaustellung des herrschenden Körpers vor allem der Unterscheidung vom am Schluss siechen Vorgänger Jelzin gedient haben (der auch am Beginn seiner Präsidentschaft das Image eines „ganzen Kerls“ hatte). Später wurde der Körper des Präsidenten immer zielgerichteter zur Machtausübung eingesetzt.
Doch seit rund zwei Jahren stottert dieser Motor. Die Amphoren markierten den Wendepunkt (auch wenn sie nicht der Grund waren). Von da an begann der Abstieg. Putins Mannsgehabe war plötzlich nicht mehr hipp. Die Reaktion wechselte, erst in den einschlägigen sozialen Netzwerken im Internet, dann aber auch anderswo immer öfter vom gewohnten „was für ein Kerl“ (gern auch mit einem eher weiblichen „hach!“) zu einer dezenten Variante des Fremdschämens. Putins Image segelte in eine eigenartige Zwischenwelt: Er ist zwar immer noch der stärkste Hahn auf dem Hof, aber die anderen Hähne ducken sich nicht mehr so furchtsam weg und die Hennen schauen sich auch mal nach anderen Hähnen um.
Wem das zu tief und zu despektierlich ins Tierreich geht, sollte sich in Erinnerung rufen, dass Tiere in Putins Erzählung von sich selbst, vom Pferd zum Tiger, von den Kranichen bis jetzt zum Hecht schon immer eine tragende Rolle gespielt haben. Außerdem hat diese Körperlichkeit immer auch eine stark sexuelle Seite gehabt. Russland ist das Land der allein gelassenen und allein lebenden Frauen. Männer sind in den Familien noch weit abwesender als sonst.
Man muss gar nicht so weit gehen, wie die Website BuzzFeed, die gleich die „16 am meisten homoerotischen Fotos von Wladimir Putin“ veröffentlichte. Oder der Spiegel-Online-Kolumnist Jan Fleischhauer, der fragt, „Ist Putin schwul?“ Natürlich muss Fleischhauer die Antwort auf diese Frage offen lassen (und trotzdem sollte er sich in naher Zukunft besser nicht in Russland sehen lassen, weil das gefährlich für ihn werden könnte. Die US-amerikanische Punkband Bloodhound Gang hat gerade erst erfahren, was mit denen passiert, die Russlands Staatssymbole schänden – und da gehört Putin fraglos dazu, als Präsident ohnehin, aber auch so). Niemand kann also diese Frage beantworten, es sei denn Putin hätte sein Coming Out oder würde in flagranti ertappt. Und niemand kann natürlich das Gegenteil beweisen, selbst nicht Putins eloquenter Sprecher Dmitrij Peskow (im Übrigen, wenn er will, einer der elegantesten Lügner, die es gibt). So tief in die tiefenpsychologische Kiste zu greifen, bringt also wenig – außer vielleicht für die veröffentlichenden Medien werbegeldwerte Aufmerksamkeit. Und sowieso ist das allein Putins Sache, über seine sexuellen Präferenzen zu reden oder eben nicht.
Ein wenig interessanter ist da schon ein Rückgriff auf Michel Foucaults Untersuchungen zum „Körper des Souveräns“. Den gibt es gleich zweimal: als gewöhnlichen Körper eines Menschen und als politischen Körper des Staates. Der Körper des Königs im von Foucault untersuchten 16. Jahrhundert war nicht nur metaphorisch, sondern höchst politisch. Er bewies durch seine Präsenz die Lebensfähigkeit und Legitimität der Monarchie. Und hier zeigt sich, wie Sergej Medwejew im russischen Forbes richtig schreibt, eine interessante Parallele zum heutigen Russland. Denn auch das Gehabe mit nacktem, muskulösen Oberkörper soll nicht anderes zeigen, als dass der russische Staat, buchstäblich verkörpert von Putin, viril und stark sei, also alles und alle im Griff habe.
Was heißt das nun aber, wenn dieser starke Mann wie neulich plötzlich von Viagra spricht. Zum Abschluss der Universiade in Kasan (bei der Russland mit einer Profimannschaft gegen StudentInnen aus alles Welt 155 Goldmedaillen gewann, während die zweiten im Medaillenspiegel, die Chinesen auf 26 kamen und die USA auf 11) empfahl Putin KritikerInnen: „Treibt Sport. Wenn Ihr Gesundheitsprobleme habt, geht zum Arzt. Vielleicht würde auch Viagra helfen. Seht das Leben von seiner schönsten Seite.“ Heißt das vielleicht, dass der männliche Körper und vielleicht mit ihm der Wille schwächeln? Oder ist die Annahme einer Freudschen Fehlschaltung ebenso schwache Küchenpsychologie wie die oben erwähnten Schwulseinvermutungen? Immerhin ist mit Alexej Nawalnyj erstmals ein, wenn auch (politisch) noch sehr kleiner und schwacher Konkurrent aufgetaucht, der es mit Putin an gesunder und männlicher Ausstrahlung durchaus aufnehmen kann – im Gegensatz zu allen bisherigen möglichen Konkurrenten (Konkurrentinnen gibt es vorerst keine), die allesamt eher ein Schwächlingsimage haben, egal ob sie nun aus dem Kremllager oder aus der Opposition kommen.
Wie instabil es ist, wenn die Macht an einem vielleicht starken, aber eben doch menschlichen und damit vergänglichen Körper hängt, hat die Nervosität um die Diskussion über eine mögliche Erkrankung Putins im vorigen Herbst gezeigt.