An die regelmäßigen Prüfungen des Justrozministeriums haben sich die russischen NGos inzwischen gewöhnt. Man kann sich auf sie vorbereiten und meist geschehen sie im gesetzlichen Rahmen, auch wenn das NGO-Gesetz schelcht ist. Am Dienstag schaltete sich nun die Moskauer Staatsanwaltschaft ein. Mehr als 20 bekannten Moskauer NGOs, meist Menschenrechtsorganisationen, schickte sie Milizionäre ins Haus, mit der Forderung in kürzester Zeit große Mengen Unterlagen über ihre Tätigkeit vorzulegen. Warum, bleib zunächst trotz Nachfrage ohne Klärung. Betroffen waren unter anderem Memorial, die Moskauer Helsinki Gruppe, Transparency International, die Agentur für soziale Information und das Zentrum zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten, alles Partnerorganisationen der Heinrich Böll Stiftung.
Erst nach und nach entstand im Laufe des Tages ein etwas klareres Bild. Der Auftrag zur plötzlichen Massenprüfung war von der Staatsanwaltschaft auf Stadteben gekommen. Geprüft werden sollte, so deren Anordnung an die Stadtbezirksstaatsanwaltschaften „die Übereinstimmung der Tätigkeit mit der Gesetzgebung der Russischen Föderation und den Satzungszielen“ der jeweiligen Organisation. Dazu sollten die Organisationen nicht nur ihre Registrierungsunterlagen, sondern auch Sitzungsprotokolle, Wahlprotokolle, Finanz- und Projektunterlagen in großer Zahl der Statsanwaltschaft übergeben. Einige Organisationen fügten sich diesen Forderungen, andere, darunter Memorial forderten, dass ihnen zuvor entsprechende staatsanwaltliche oder richterliche Verfügungen vorgelegt werden sollten.
Abgesehen von der Ungesetzlichkeit der staatsanwaltschaftlichen Forderungen (in dieser Art ohne konkreten Verdacht darf nur das Justizministerium NGOs prüfen, keinesfalls die Staatsanwaltschaft) erstaunt das Vorgehen gleich gegen eine große Zahl auch international bekannter und gut vernetzter Organisationen. Vertreter von vielen von ihnen sind zudem Mitglieder im präsidentiellen „Rat für Zivilgesellschaft und Menschenrechte“. Die Hintergründe und Ziele der Aktion sind bisher unklar, ebenso wie ihre Initiatoren. Wer aber auch immer dahinter steht, muss damit rechnen, dass diese Organisationen solch einen Angriff nicht ohne Gegenwehr hinnehmen werden.
Aller Erfahrung nach kann man aber davon ausgehen, dass solche Aktionen nicht ohne politischen Auftrag durchgeführt werden. Doch wer die Auftraggeber sein könnten, weiß biosher ebenfalls niemand zu sagen. Spekulationen, die Aktion könne etwas mit der vor kurzem aufgeflammten Auseinandersetzung zwischen dem Kreml und dem Moskauer Bürgermeister Luschkow sein (binnen weniger Tage hatten sowohl die beiden kremlkontrollierten Staatssender als auch der Privatsender NTW kruzfristig Sendungen mit Korruptionsvorwürfen gegen Luschkow in ihr Programm aufgenommen), sind bisher eben das: Spekulationen.
Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich Böll Stiftung, hat in einer Erklärung bereits ernergisch gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft protestiert: „Diese Aktion der Moskauer Staatsanwaltschaft erinnert an längst überwunden geglaubte Zeiten. Es handelt sich um einen offenkundigen
Versuch der Einschüchterung unabhängiger, regierungskritischer
Akteure der Zivilgesellschaft. Wir fordern die Beendigung dieser
Kampagne und eine Aufklärung über die Hintergründe.“