Memorial in Straßburg Sacharow-Preis überreicht – Rückkehr der Menschenrechtler nach Tschetschenien

In Straßburg wurde heute Memorial vom Europäischen Parlament stellvertretend für alle russischen MenschrechtlerInnen mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet. Sergej Kowaljow, Ludmila Alexejewa und Oleg Orlow nahmen den Preis in Empfang. In seiner Dankesrede erinnerte Sergej Kowaljow daran, dass 2009 ein blutiges Jahr war. Im Januar wurden der Anwalt Stanilaw Markelow und die Journalisten Anastassija Babizkaja in Moskau auf offener Straße ermordet. Im Juli führte der einer Hinrichtung gleichende Mord an der Memorial-Mirarbeiterin natalja Estemirowa zu weltweiter Empürung und dem nachfolgenden Rückzug von Memorial aus Tschetschenien. Das Menschenrechtsmonitoring dort musste weitgehend eingestellt werden. Im August wurden Sarema Saidullajewa und ihr Mann in Grosny erst entführt, dann gefoltert und ermordet. Anfang November wurde der inguschische Oppositionelle Makscharip Auschew erschossen. Das sind nur vier der bekanntesten von vielen Fällen. In keinem Fall wurden die Täter gefasst, geschweige denn verurteilt. Der Sacharow-Preis gebühre eigentlich all diesen mutigen Menschen, sagte Sergej Kowaljow und bat die Abgeordneten des Europaparlaments, sich zu einer Schweigeminute zu erheben.

 Im Anschluss daran zeichnete Kowaljow ein differenziertes Bild von der politischen Situation in Russland und sprach von vielseitiger Unterstützung von Memorial für seine Arbeit, insbesondere den Umgang und die Aufarbeitung der totalitären und diktatorischen Vergangenheit. An die Eu und ihre Mitgleidsländer appellierte er, mit Blick auf die Entwicklungen in Russland „nicht zu schweigen, sondern immer und immer wieder zu wiederholen und anzumahnen und höflich aber entschieden darauf zu bestehen, dass Russland seine Verpflichtungen einhält“. Russland sei Mitglied des Europarates und habe die Europäische Menschenrechtskonvention und viele andere Abkommen unterzeichnet. Sollte die EU oder einzelne ihrer Mitgleidsstaaten Russland Menschenrechstverletzungen und Demokratiedefizite einfach so durchgehen lassen, dann würden dies die „russischen Behörden zweifellos als Nachgiebigkeit verstehen. Es schadet Russland, wenn heikle Themen von der Tagesordnung genommen werden. Aber es schadet genauso sehr Europa, da es das Engagement der europäischen Institutionen für europäische Werte in Frage stellt“, so Sergej Kowaljow. Er schloss mit einem Zitat von Andrei Sacharow, das auch heute noch gelte: „Mein Land braucht Unterstützung und es braucht Druck“.

Die Rede Kowaljows kann auf Russisch hier im Internet gesehen werden. Eine deutsche und englische Version (oder Links zu ihnen) wird es morgen oder übermorgen in diesem Blog geben.

Gleichzeitig mit der Preisverleihung in Straßburg veröffentlichte Memorial in Moskau eine gemeinsame Erklärung mit einer ganzen Reihe internationaler Menschenrechtsorganisationen, dass die Organisation das Menschenrechtsmonitoring in Tschetschenien wieder aufnehmen werde. Die letzten Mitarbeiter von Memorial hatten Ende Juli Tschetschenien verlassen, weil die Arbeit dort nach der Ermordung von Natalja Estemirowa zu gefährlich geworden war. Die Erklärung im Wortlaut:

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Memorial und
internationale Menschenrechtsgruppen kehren nach Tschetschenien zurück

 

 

Vor fünf Monaten verloren die Menschenrechtler Russlands eine Freundin und Kollegin – Natalja Estemirowa.
Sie war eine führende Mitarbeiterin von Memorial in Tschetschenien. Nach ihrer
Ermordung, die am 15 Juli 2009 geschah, unterbrach Memorial seine Arbeit in der
Kaukasusrepublik. Seither haben die Machthaber in Tschetschenien nicht
aufgehört, Menschenrechtler und alle Menschen, die versuchen Gerechtigkeit im
Angesicht der Willkür zu erlangen, zu verfolgen und einzuschüchtern. Einige von
ihnen mussten Russland verlassen, weil ihr Leben dort in Gefahr war.

 

Im Ergebnis blieb
niemand, an den sich Menschen in Tschetschenien wenden können, wenn ihre Rechte
verletzt werden. Gleichzeitig treffen weiter Mitteilungen über
Menschenrechtsverletzungen aus Tschetschenien ein, darunter das Verschwinden
von Menschen, Folter und brutales Vorgehen von Sicherheitsorganen, aber auch
sogenannte „außergerichtliche“ Hinrichtungen. Häuser von Verwandten derer, die
verdächtigt werden, sich bewaffnet zu haben, werden abgebrannt. Die Schuldigen
all dieser Verbrechen bleiben straflos.

 

Unter diesen
Umständen ist das Vakuum, dass Memorial mit dem Verlassen von Tschetschenien
hinterlassen hat, besonders schmerzhaft spürbar. Im November haben sich mehr
als 80 russische Menschenrechtsorganisationen an Memorial mit einem offenen Brief
gewandt, in dem sie Memorial aufrufen, nach Tschetschenien zurück zu kehren. Gleichzeitig
haben sie versprochen, soweit das ihnen möglich ist, bei diesem Schritt und der
Arbeit in Tschetschenien zu helfen. Einige dieser Organisationen haben sich zusammen
geschlossen, um eine Monitoring-Mission in Tschetschenien zu gründen und
bereits wieder begonnen, dort zu arbeiten.

 

Heute, am 16.
Dezember 2009, hat das Europaparlament Memorial in Person von Oleg Orlow und
Sergej Kowaljow, sowie Ludmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki Gruppe mit
dem Sacharow-Preis „Für gedankliche Freiheit“ ausgezeichnet. Wir sind äußerst
betrübt darüber, dass unsere Freundin Natajla Estemirowa diesen Tag nicht mehr
erlebt hat.

 

In seiner
Nobelpreisrede hat Andrej Sacharow gesagt, dass „wir heute für jeden einzelnen
Menschen kämpfen müssen, gegen jeden einzelnen Fall von Ungerechtigkeit, gegen
Menschenrechtsverletzungen. Davon hängt viel zu viel in unserer Zukunft ab.“

 

Wir, Amnesty
International, Human Rights Watch, die Internationale Föderation der
Menschenrechte (FIDH), Memorial, die Civil Rights Defenders und die Moskauer
Helsinki Gruppe, werden mit russischen und internationalen Menschenrechtsgruppen
beim Monitoring um der Situation in Tschetschenien zusammen zu arbeiten. Wir
gehen davon aus, dass das Monitoring und die Verbreitung von Informationen über
Menschenrechtsverletzungen in der Tschetschenischen Republik unsere gemeinsame
Verpflichtung ist. Wir werden die Arbeit fortsetzen, um den
Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien ein Ende zu machen und werden
alles von uns Abhängende tun, damit die Schuldigen an diesen Verbrechen vor
Gericht kommen. Den Einwohnern von Tschetschenien darf nicht die Möglichkeit genommen
werden, ihr Recht vor Gericht einzuklagen.   

 

Memorial und
internationale Menschenrechtsgruppen kehren nach Tschetschenien zurück

 

Vor fünf Jahren
verloren die Menschenrechtler Russlands eine Freundin und Kollegin – Natalja Estemirowa.
Sie war eine führende Mitarbeiterin von Memorial in Tschetschenien. Nach ihrer
Ermordung, die am 15 Juli 2009 geschah, unterbrach Memorial seine Arbeit in der
Kaukasusrepublik. Seither haben die Machthaber in Tschetschenien nicht
aufgehört, Menschenrechtler und alle Menschen, die versuchen Gerechtigkeit im
Angesicht der Willkür zu erlangen, zu verfolgen und einzuschüchtern. Einige von
ihnen mussten Russland verlassen, weil ihr Leben dort in Gefahr war.

 

Im Ergebnis blieb
niemand, an den sich Menschen in Tschetschenien wenden können, wenn ihre Rechte
verletzt werden. Gleichzeitig treffen weiter Mitteilungen über
Menschenrechtsverletzungen aus Tschetschenien ein, darunter das Verschwinden
von Menschen, Folter und brutales Vorgehen von Sicherheitsorganen, aber auch
sogenannte „außergerichtliche“ Hinrichtungen. Häuser von Verwandten derer, die
verdächtigt werden, sich bewaffnet zu haben, werden abgebrannt. Die Schuldigen
all dieser Verbrechen bleiben straflos.

 

Unter diesen
Umständen ist das Vakuum, dass Memorial mit dem Verlassen von Tschetschenien
hinterlassen hat, besonders schmerzhaft spürbar. Im November haben sich mehr
als 80 russische Menschenrechtsorganisationen an Memorial mit einem offenen Brief
gewandt, in dem sie Memorial aufrufen, nach Tschetschenien zurück zu kehren. Gleichzeitig
haben sie versprochen, soweit das ihnen möglich ist, bei diesem Schritt und der
Arbeit in Tschetschenien zu helfen. Einige dieser Organisationen haben sich zusammen
geschlossen, um eine Monitoring-Mission in Tschetschenien zu gründen und
bereits wieder begonnen, dort zu arbeiten.

 

Heute, am 16.
Dezember 2009, hat das Europaparlament Memorial in Person von Oleg Orlow und
Sergej Kowaljow, sowie Ludmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki Gruppe mit
dem Sacharow-Preis „Für gedankliche Freiheit“ ausgezeichnet. Wir sind äußerst
betrübt darüber, dass unsere Freundin Natajla Estemirowa diesen Tag nicht mehr
erlebt hat.

 

In seiner
Nobelpreisrede hat Andrej Sacharow gesagt, dass „wir heute für jeden einzelnen
Menschen kämpfen müssen, gegen jeden einzelnen Fall von Ungerechtigkeit, gegen
Menschenrechtsverletzungen. Davon hängt viel zu viel in unserer Zukunft ab.“

 

Wir, Amnesty
International, Human Rights Watch, die Internationale Föderation der
Menschenrechte (FIDH), Memorial, die Civil Rights Defenders und die Moskauer
Helsinki Gruppe, werden mit russischen und internationalen Menschenrechtsgruppen
beim Monitoring um der Situation in Tschetschenien zusammen zu arbeiten. Wir
gehen davon aus, dass das Monitoring und die Verbreitung von Informationen über
Menschenrechtsverletzungen in der Tschetschenischen Republik unsere gemeinsame
Verpflichtung ist. Wir werden die Arbeit fortsetzen, um den
Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien ein Ende zu machen und werden
alles von uns Abhängende tun, damit die Schuldigen an diesen Verbrechen vor
Gericht kommen. Den Einwohnern von Tschetschenien darf nicht die Möglichkeit genommen
werden, ihr Recht vor Gericht einzuklagen.  

 


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