Es gibt nichts, das nicht völlig ad absurdum geführt werden könnte. Ramsan Kadyrow, tschetschenischer Präsident, und nicht ohne Grund höchst verdächtig, mit dem Mord an Natalja Estemirowa in Verbindung zu stehen, verklagt Oleg Orlow, den Vorsitzenden des Menschenrechtszentrum Memorial, dessen Mitarbeiterin in Grosny Estemirowa war. Kadyrow will nach Auskunft seines Anwaltes seine „Ehre und Würde als tschetschenischer Präsident“ gegen Orlows Anschuldigungen verteidigen. Oleg Orlow hatte noch am Tag des Mordes erklärt, er sei davon überzeugt, dass für den Mord an Natalja Estemirowa nur Kadyrow verantwortlich sein könne. Dabei sei es letzlich egal, ob Kadyrow nun persönlich den Mordbefehl gegeben habe oder ob einer seiner Mitarbeiter und Anhänger auf eigene Faust gehandelt habe, zum Beispiel um dem Führer nützlich zu sein.
Oleg Orlow nahm die Nachricht von Kadyrows Klage gelassen auf: „Wie könnte ich als russischer Bürger nicht zu einem Prozess bereit sein? Für seine Worte muss man sich verantworten können. Ich werde mich im Gerichtssaal für meine Worte rechtfertigen.“ Und dann fügte er, listig, noch hinzu: „Es ist normal, dass Ramsan Kadyrow sich entschlossen hat, den Konflikt im Rahmen des Rechts auszutragen.“ Zuvor hatte Orlow am Freitag mit Kadyrow telefoniert. Kadyrow nannte Orlows Erklärung über seine angebliche Schuld am Tod von Natalja Estemirowa in dem Gespräch „unethisch“. Orlow antwortete nach eigenen Angaben, dass er Kadyrow nicht eines Verbrechens anklage, sondern ihm die Verantwortung an dem Mord zuschreibe.
Die Gelassenheit Oleg Orlows erklärt sich wohl auch daraus, dass Kadyrow Memorial und ihn persönlich schon mehrfach wegen Rufmords verklagt hat. Die Gerichte entschieden jedoch jedes Mal zu Gunsten der Menschenrechtler. Selbst für russische Gerichte sind die Beweise der Verstrickung des tschetschenischen Präsidenten in Entführungen, Folter und Morde, die Memorial und an führender Stelle die jetzt ermordete Natalja Estemirowa zusammen getragen haben, überzeugend gewesen.
Memorial wird unterdessen seine Arbeit in Tschetschenien vorläufig einstellen. Das Risiko für die Sicherheit der MitarbeiterInnen sei nicht mehr tragbar. Eine Entscheidung, die Ramsan Kadyrow öffentlich bedauerte.