Antipolnischer Artikel auf Verteidigungsministeriums-Website gelöscht – Geschichte nicht zu Ende

Da war nicht einmal die neue Kreml-Wahrheitskommission nötig. Offensichtlich ganz von allein, vielleicht auf Hinweis aus dem Kreml, hat das russische Verteidigungsministerium den am Donnerstag hier vorgestellten Artikel eines Historikern in Uniform schon am Freitag von seiner Website genommen. Die Behauptung, die Polen seien Schuld deutschen Überfall auf ihr Land 1939 und damit am Ausbruch des ersten Weltkriegs, war wohl selbst denjenigen zuviel, die wie Präsident Dmitrij Medwedjew über „unverschämte Geschichtsfälschung“ (in einem Video-Blog vor drei Wochen) zu Ungunsten Russlands klagen. Das polnische Außenministeriums, dass gestern noch den russischen Botschafter in warschau um Erklärung gebeten hat, ist es damit zufrieden und wird nichts weiter unternehmen. Ein größerer diplomatischer Skandal ist also vermieden. 

Doch das Kreml-Projekt ist damit nicht vom Tisch. Auf der Website des Verteidigungministeriums sind noch viele weitere Aufsätze zu finden, die sich mit angeblichen „Fälschungen der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ beschäftigen. Andere Behörden und Ministerien werden folgen. Die politische Führung wähnt das Land in einem unerklärten Krieg. Es ist die alte Stalinsche Konstruktion, dass Russland allein und von lauter Feinden umgeben sei, die sich befeuert durch die Putinsche Rethorik wieder in vielen Köpfen im Land festgesetzt hat. Und wenn die Feinde schon nicht mit Waffen kämpfen und drohen, dann wird das als umso schlimmer, umso hinterhältiger wahrgenommen. Darin zeigt sich aber auch eine Hilflosigkeit, eine Mangel an Selbstbewusstsein, die gefährlich umschlagen können. Leider ist zuerwarten, dass die Töne schriller werden, je näher der 70. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes kommt.

Der offene Umgang mit dem Pakt gefährdet den Kreml-Mythos vom heroischen Krieg des Sowjetvolkes und der Roten Armee zur Befreiung Europas vom faschistischen Joch. Er gefährdet das Selbstbild Russlands als Opfer und Held zugleich. Er gefährdet aus Kremlsicht die gerade erst erreichte Konsolidierung des Landes hinter einem starken Führer. Er gefährdet damit, besonders in der Krise, die Stabilität des politischen Systems. Zumindest gibt es diese hypertrophierte Angst im Kreml und im Weißen Haus (von ihr zeugten auch schon die Hysterie um das neue NGO-Gesetz und die Euphorie über den „Sieg über die USA“ im Georgienkrieg). Nicht umsonst ist es im russischen Fenrsehen schon seit längerem verboten, Vergleiche zwischen dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus oder Bolschewismus zu ziehen. Der Nationalsozialismus ist dem Putinismus das absolute Übel. Die Sowjetunion aber war zwar nicht perfekt, aber im Grunde, als russischer Staat doch gut, von ein paar „Auswüchsen“ einmal abgesehen. Und den Ritterschlag oder besser vielleicht den Gottessegen erhielt sie durch Leiden und Sieg im Zweiten Weltkrieg. Leiden, das die Sowjetunion im Inneren und nach Außen verursacht hat, verschwinden in dieser Interpretation dahinter. Weil sie aber trotzdem da sind, werden sie geleugnet und verbannt. 

 


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