Anders ist immer noch gefährlich – Gedanken zur Schwulendemonstration in Moskau

Vor drei Jahren wurde in Moskau der Erste Versuch einer Schwulen- und Lesbendemonstration zusammengeprügelt. Unter den Verletzten und Verhafteten war auch der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck. Dadurch erlangte der Vorfall internationale Aufmerksamkeit. Neu oder unerwartet war das alles nicht, ebenso wie die minutenschnelle Verhaftung von rund 40 AktivistInnen heute am Rande des Songwettbewerbs Eurovision. Ökoaktivisten oder Menschenrechtlern sind schon ähnlich attackiert worden. Alle, denen das vermeintliche Anderssein schon von außen anzusehen ist, ob sie nun russische StaatsbürgerInnen sind oder nicht, kommen heute nur noch aus purer Not darauf, es könne eine gute Idee sein, in Russland für seine Rechte auf die Straße zu gehen. Anders zu leben, anders zu denken und, noch schlimmer, anders auszusehen, sich anders zu bewegen und zu sprechen ist in Russland unter Putin wieder gefährlich geworden. Das Land sucht, knapp 20 Jahre nach der Zerfall der Sowjetunion – und damit endgültig des russischen Imperiums – immer noch nach sich selbst. Es ist eines der wichtigsten Projekte Putins, herauszufinden, „wer wir sind“. Identitätssuchen sind immer prekär, umso mehr, wenn es um kollektive Identitäten geht. Immer mehr Menschen sehen im Ausschluss von allem als fremd und anders Erfahrene den richtigen Weg zu einer russischen nationalen Identität. Fremd sein, heißt immer mehr wieder, wie zu Sowjetzeiten, Feind zu sein. Das ist das Konzept, mit dem Putin Einheit im Inneren zu erzeugen versucht.

Die Scham vor offen fremdenfeindlichen und Anderssein diskriminierenden Äußerungen nimmt derweil immer weiter ab. Während vor drei der Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow das Verbot der Gay-Parade noch damit begründete, Leib und Leben der Demonstranten gegen Angriffe ihrer erklärten Gegner nicht schützen zu können. Inzwischen redet er von „Teufelszeug“ und macht die Demonstranten damit praktisch vogelfrei. Selbst internationale Aufmerksamkeit, die sich die OrganisatorInnen des Protests vom Eurovisonswettbewerb erhofften, hilft offensichtlich nicht mehr. „Sauber“ soll zugehen und möglichst nichts soll die Zurschaustellung neuer russischer Herrlichkeit stören. Von dieser neuen Strahlkraft und dem russischen Geld zeigen sich offensichtlich auch die Gäste aus dem Ausland beeindruckt. Bis zum frühen Abend gab es zumindest keine Solidaritätszeichen aus der großen, nach Moskau angereisten Schlagercommunity. Das ist besonders verwunderlich, weil der Wettbewerb in den vergangenen Jahren vor allem in den Schwulenszenen fast schon Kultstatus erlangt hat und auch unter den Künstlern viele Schwule sind. Aber auch die wollen sich anscheinend die Feier nicht verderben lassen oder sich nicht mit den russischen Autoritäten anlegen.

Die Lehre aus dieser Feigheit für die herrschende politische Elite in Russland ist klar, einfach und Übelkeit erregend: Man muss nur hart und bestimmt genug auftreten, Kusch! rufen und genügend Geld in der Tasche zu haben, dann kümmern diese Weicheier aus dem Westen ihre seltsamen Menschenrechte nicht mehr. Es ist alles also nur eine Frage der Macht und der Käuflichkeit. Davon wird es beim nächsten Mal nicht besser werden.  


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