Wie stabil ist das Putin-Regime? Solange das Geld reicht!

„Zwei Jahrzehnte nach Beginn der Perestrojka ist Russland ein autoritärer Staat. Unter Präsident Vladimir Putin wurde zielgerichtet ein hochgradig zentralisiertes politisches System installiert, in dem bürgerliche Freiheits- und Beteiligungsrechte systematisch außer Kraft gesetzt sind. Mit der Neubesetzung der Duma im Dezember 2007 und dem Wechsel im Präsidentenamt im Frühjahr 2008 hat der Kreml gezeigt, dass er den öffent-lichen politischen Raum in Russland nach Belieben beherrscht. In den wenigen übrig gebliebenen Enklaven politischer Autonomie können sich keine machtpolitisch relevan-ten Kräfte etablieren. Russland ist zwar formal immer noch ein modernes demokrati-scher Staat mit einer im großen und ganzen liberalen Verfassung. Alle Institutionen sind aber ihres demokratischen Gehalts und ihrer ethischen Grundlagen beraubt.Zur Absicherung ihrer Macht hat die herrschende politische Elite um Putin und den neuen Präsidenten Dmitrij Medvedev systematisch ein Monopol auf öffentliche Poli-tik in Russland durchgesetzt. Das Parteiensystem dominieren von ihr geschaffene und kontrollierte Surrogatparteien. Die liberalen Oppositionsparteien wurden marginali-siert oder mit Hilfe des verschärften Parteiengesetzes aufgelöst. Neue, nicht im Kreml erdachte oder dort gut geheißene Parteien, werden nicht mehr zugelassen. Der Kreml bestimmt weitgehend autonom, was in der Politik möglich ist und was nicht. Lilija Ševcova hat den wichtigsten Funktionsmechanismus dieses Herrschaftsmodells in einer griffigen, aber stimmigen Regel zusammengefasst. Während in demokratischen Ländern grundsätzlich gelte: „Klare Spielregeln – unsicherer Ausgang“, heiße es heute in Rußland: „Unklare Spielregeln – sicherer Ausgang“. 
Rasender Stillstand

Trotz dieser kaum herausgeforderten und, wie es scheint, sogar noch wachsenden Dominanz der herrschenden Machtgruppe gehört es zu den Lieblingsbeschäftigungen fast aller Beobachter der russländischen Politik, sich regelmäßig und ausgiebig Ge-danken über Stabilität oder Instabilität dieses politischen System zu machen. Das hat einerseits sicher etwas mit der Intransparenz der Entscheidungsprozesse in diesem System zu tun. Wenn man nicht so recht versteht, wie und warum etwas funktioniert, weil man, wie bei einer Black Box, nur weiß, was reingeht und was wieder heraus-kommt, die Vorgänge im Inneren aber verborgen bleiben, sind Fragen nach der Stabi-lität nur natürlich. Dann ruft die durchaus neue Mischung aus traditionellen, oft an die Sowjetunion erinnernden Macht- und Unterordnungstechniken und modernen PR- und Kommunikationsstrategien zur Manipulation einer noch ungeübten Öffentlich-keit, Fragen hervor. Weder die alte Sowjetologie noch kommunikative Handlungsthe-orien kommen in der Analyse weit. Hinzu kommt die enge institutionelle, vor allem aber personelle Verflechtung zwischen Wirtschaft und Politik, die zwar nur in Ansät-zen marktwirtschaftlich genannt werden kann, aber deutlich keine sozialistische Planwirtschaft mehr ist. Der Begriff Staatsmonopolkapitalismus kommt dem Sach-verhalt wohl am nächsten, trifft ihn aber auch nicht richtig. Es ist nicht der Staat, der sich ein Monopol schafft, sondern eine relativ kleine Machtgruppe, die sich den Staat angeeignet hat, und ihn als Instrument ihrer monopolitischen Bestrebungen nutzt. Das Monopol dient zwei Zielen, die sich gegenseitig stützten: Der Gewinnmaximierung und dem Machterhalt. Staatliche Macht ist das Instrument, möglichst großer Gewinn das Ziel. Wieder verbinden sich für unvereinbar gehaltene Formen zu etwas Neuem, dessen Funktionsweise und Stabilität schon deswegen viele Fragen offen lässt, weil es erst seit so kurzer Zeit existiert. Zwar lässt sich die Frage, wie stabil das von Vladimir Putin aufgebaute politische System in Russland ist, nur spekulativ beantworten. Sehr wohl können aber Entwicklungslinien aufgezeigt und daraus wahrscheinliche Heraus-forderungen abgeleitet werden.“

Unter der Überschrift „Von der Kontinuität zur Stagnation. Instabile Stabilität im autoritären Russland“ analysiere ich in Osteuropa 4/2009 die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Stabilität des von Wladimir Putin aufgebauten politischen Systems.

Die Krise zweigt vor allem eins: Auf welch öligem Treibsand das russische „Wirtschaftswunder“ der vergangenen Jahre gebaut war. Das russische Wachstum war nicht nachhaltig. Es kam nicht von innen, sondern von außen. Um das zu ändern, müsste die Politik sich grundlegend ändern, und zwar nicht nur die Wirtschaftspolitik. Doch dafür gibt es bisher keine Anzeichen. Umgekehrt: Es scheint eher so, als habe man sich in Kreml und Weißem Haus entschieden, auf die Hoffnung zu setzen, dass das Geld reicht, bis der Ölpreis wieder steigt. Und solange das Geld reicht, wird wohl auch das politische Regime einigermaßen stabil bleiben.

 


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