Memorial und das Gesicht des russischen Staates

Anfang Dezember, es war ein Donnerstag, zeigte der russische Staat mal wieder sein Gesicht. Es trug, wie so oft in letzter Zeit, schwarze Skimasken. Am Morgen erschienen in den Räumen von Memorial St. Petersburg einige maskierte Männer. Sie legten einen Durchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft vor und beschlagnahmten alle zwölf Computerfestplatten, außerdem noch einige konventionelle Akltenordner. Drei zufällig anwesenden MitarbeiterInnen von Memorial durften bis zum Abend die Büroräume nicht verlassen und auch niemanden per Telefon benachrichten. Andere elektronische Kommunikationsmittel waren durch den Festplattenausbau lahm gelegt. Was die Maskierten suchten, bliebt an diesem Tag unklar. Auch die Frage, weswegen und gegen wen ermittel wird, blieb unbeantwortet. Erst in der darauffolgende Woche erfuhr Irina Flige, Vorsitzende von Memorial St. Petersburg, bei einer Vernehmung als Zeugin durch die Staatsanwaltschaft, dass gar nicht gegen Memorial ermittelt werde, sondern gegen eine kleine Petersburger Zeitung wegen eines Mitte 2007 erschienen Artikels, der, so der Verdacht, extremistisches Gedankengut verbreitet haben könnte. Auf den Memorial-Festplatten hoffe man beweismaterial zu finden. Die Papiere konnte Irina Flige gleich wieder mitnehmen. Die Festplatten, so der Staatsanwalt, würden schnellstens durchsucht und dann sofort zurück gegeben.

Seither sind fast vier Wochen vergangen, die Staatsanwaltschaft ermittelt moch immer, die Festplatten sind immer noch nicht zurück gegeben. Memorial klagt auf Herausgabe. Zweimal vertagte sich das Gericht bereits. Am 16. Januar ist die nächste Verhandlung. Was klingt wie ein Farce, ist keine. Die Sache ist ernster. Der Vorwand für die Durchsuchung bei Memorial und die Beschlagnahme der Computerfestplatten ist so absurd, dass sie selbst im an Absurditäten reichen Russland zufällig nicht sein kann. Gerade das Fehlen eines vernünftigen Anlasses lässt nur den Schluss zu, dass es sich um eine Warnung aus dem Kreml handelt. Passt nur auf, heißt das, wir können Euch jederzeit ans Leder. Und wir werden auch nicht zögern, das zu tun.

Doch warum sollte der Kreml sich mit Memorial solche Mühe machen? Die MeschenrechtlerInnen und HistroikerInnen rufen nicht zu politischen Aktionen auf, wollen keine Parteien gründen und streben auch nicht an die Macht. Aber sie haben durch ihre stete, profgessionelle und beharrliche Arbeit öffentlichen Einfluss gewonnen. Memorial ist eine Autorität, wenn es um Fragen der diktatorischen Vergangenheit Russlands und Menschenrechtsverletzungen in der Gegenwart geht. Der Einfluss wirkt in der intellektuellen Elite Russlands, in der viele Putin vielleicht gar nicht so schlecht finden, denen aber die gar nicht mehr so schleichende Renaissance Stalins zu weit geht. Der Einfluss wirkt aber vor allem über das Land hinaus. Memorial ist in der Welt eine Chiffre für das gute Russland.

Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft rief breiten Protest in Histrorikerkreisen in den USA und Europa hervor. Der Europarat, das Europaparlament und die OSZE beschärftigen sich mit ihm. Abgeordnete aus vielen Ländern schrieben Protestbriefe und Presseerklärungen zur Unterstützung von Memorial. In Russland selbst blieb der öffentliche Protest bisher eher verhalten. Die Solidarität anderer NGOs und des kleinen  Häufleins oppositioneller Politiker ist Memorial zwar gewiss. Von den vielen Historikern und anderen Humanwissenschaftlern, mit denen Memorial zusammen noch Anfang Dezember in Moskau eine große Konferenz zum Stalinismus veranstaltet hatte, haben bisher nur acht Mitglieder der Akademie der Wissenschaften einen Protestbrief unterzeichnet.

Memorial informiert chronologisch über den Fall im Internet (auf Russisch)

Ein wenig Material gibt es auch auf Deutsch auf der Website von Memroail Deutschland

Proteste: Bundestagsfraktion Bündnis, 90/Die Grünen Marieluise Meck, MdB, Manuael Sarrazin, MdB, amnesty international