Putins Spionenhelden und eine düstere Warnung.

In Russland und den USA gab es völlig
unterschiedliche Reaktionen auf die Festnahme der russischen Spione in den USA
und den wohl schnellsten Agentenaustausch der Geschichte. Das russische
Außenministerium dementierte zuerst energischst (da kamen sowohl alte Erfahrung
als auch alte Reflexe zum Zuge). Russland habe damit nichts zu tun, alles
„Provokation“ (Lieblingswort!). Doch dann besann man sich schnell und holte die
„Landsleute“, die kurz zuvor noch verleugnet worden waren, zurück „in die
Heimat“.

Hier wurden sie mit einer Mischung aus Spott
und Hochachtung empfangen. Während für die meisten Menschen im Westen „Spione“
vor allem Unterhaltungsqualitäten haben, umgibt die „Kämpfer an der
unsichtbaren Front“ in Russland auch weiter eine Aura des Heldischen. Während
in den Spionageromanen John le Carrés das Agentengewerbe ironisch-anrüchig
daherkommt, mit vielen kaputten Typen und meist finsteren Hintermännern, ruft
die russisch-sowjetische Folklore Erinnerungsassoziationen aus präadoleszenten
Männerheldenphantasien hervor.

 

Das Genre des Agentenfilms war in der
Sowjetunion ein ganz besonderes, staatstragendes und den Staat trug der KGB.
Der sowjetische Spion „Stirlitz“, der im Frühjahr 1945 als Sturmbannführer im
Reichssicherheitshauptamt einen Separatfrieden Himmlers mit den Westalliierten
verhindert, ist eine chrestomatische Figur, die jeder kennt und jeder liebt.
Zudem ist die 12-teilige Fernsehserie, die auf Anordnung von KGB-Chef Jurij
Andropov Ende der 1970er Jahre entstand, um das Ansehen des KGB in der
Sowjetunion zu verbessern, ein wahnsinnig gutes Filmwerk mit exzellenten
Schauspielleistungen und einer gleichzeitig langsamen wie spannenden
Erzählstruktur, die sich heutzutage kaum noch jemand leisten kann (dem
Vernehmen nach soll die Produktion der Serie den Jahresetat für Fernsehfilme
des sowjetischen Staatsfernsehens verschlungen haben). Spion Stirlitz ist
derart populär, dass es noch heute Webseiten mit Hunderten von Stirlitz-Witzen gibt.

 

Doch – trotz all meiner Begeisterung für
Stirlitz – zurück in die Gegenwart. An das eben beschriebene Sentiment (das
natürlich eng verknüpft ist mit der immer noch sehr wirksamen stalinschen und
bis vor kurzem auch von Putin bedienten Konzeption von der „belagerten“ und
„von Feinden umringten“ Festung Russland in einer
darwinistisch-haifischbeckenartigen Welt) knüpfte Premierminister Putin am
vergangenen Wochenende an, als er in einer sentimentalen Show von den
HeimkehrerInnen sprach: „Sie hatten ein sehr schwieriges Schicksal. Sie mussten
viele, viele Jahre lang für ihr Vaterland kämpfen, ohne diplomatische
Rückendeckung, indem sie sich und ihre Angehörigen hohen Risiken aussetzten.“
Gleichzeitig versprach er den Ausgetauschten gute Jobs und eine „lichte“
Zukunft.

 

Das muss man nun zu erklären versuchen.
Normalerweise versucht sich Putin von Misserfolgen zu distanzieren. Das ist
eines seine Regierungsprinzipien: Die Erfolge für den Mann (oder seit zwei
Jahren: die beiden Männer) oben, die Verantwortung für Misserfolge tragen die
Unterlinge. Zur Erklärung ist noch ein kleiner Exkurs nötig, diesmal in die
Geschichte der russischen Auslandsspionage seit dem Ende der Sowjetunion.  

 

Noch im Dezember 1991 begann der russische
Präsident Boris Jelzin den alten, sowjetischen KGB zu zerschlagen. Der erste
Schritt war die Auslösung eines eigenen Geheimdienstes für Spionage und Gegenspionage
unter der Bezeichnung „Dienst für Auslandsaufklärung“ (russisch: „Sluzhba
Wnezhnoj Raswedki“ oder abgekürzt SWR). Erster Chef wurde Jewgenij Primakow,
ein Arabist. Damit war auch die neue Orientierung der neuen russischen Spione
symbolisiert: Nicht mehr nach Westen, sondern in die unruhige Krisenregion des
Nahen und Mittleren Osten. Primakow besetzte Schlüsselpositionen mit seinen
Vertrauensleuten, meist ebenfalls Spezialisten für eher östliche und südliche Weltregionen.

  

Nachdem Wladimir Putin Anfang 2000 Präsident
geworden war, ernannte er Sergej Lebedew zum Nachnachfolger von Primakow (der
1996 Außen und 1998 Premierminister geworden war). Mit Lebedew beginnt einer
erneute Umorientierung, zurück Richtung Westen. Lebedew selbst ist
Deutschland-Spezialist mit vielen „Dienstreisen“ dorthin, wie es beschönigend
im Russischen auch für Spionageposten im Ausland heißt. Westliche Geheimdienste
(so der deutsche, der britische und der US-amerikanische) melden schon 2001
erhöhte Aktivitäten von SWR-Agenten in ihren Ländern. Im März 2001 weisen die
USA 50 russische Diplomaten unter Spionageverdacht aus. Nur ein paar Tage
später beschwert sich der britische Premier bei Putin über die rührigen
russischen Spione. Wieder einige Tage darauf Reportiert der BND, die
Spionagetätigkeit aus russischen diplomatischen Vertretungen habe stark
zugenommen.

 

Zwar brachten die Anschläge vom 11. September
2001 und Putins Solidarisierung mit den USA eine kleine
Spionageverschnaufpause, aber nur eine kleine. Der Jahresberciht des BND von 2008
rechnet den Großteil ausländischer Spione in Deutschland Russland und China zu.
Hauptziel sei Wirtschaftsspionage. Das hätte keine Überraschung sein dürfen (und
war es für Fachleute wohl auch nicht). Putin hatte ein Jahr zuvor öffentlich
erklärt, „die Geheimdienste müssen aktiver die Interessen unser Unternehmen im
Ausland verteidigen“. Vorneverteidigung war schon ein weit verbreitetes (militärisches)
Konzept im Kalten Krieg.

 

Trotz der beschriebenen Rückorientierung des
SWR Richtung Westen passen aber die nun in den USA enttarnten Spione nicht in
dieses Schema. Erfolgreiche Wirtschaftsspionage sieht anders aus. Und auch
politische und militärische Erkenntnisse oder geheime Erkenntnisse über
politische und militärische Vorhaben anderer Länder werden heute anders erworben.
Schläfer mit falscher Identität machten im Kalten Krieg Sinn, als die Grenzen
wenig durchlässig und Russen im Westen oder noch mehr Westler in der Sowjetunion
an sich schon verdächtig waren. Heute sind sie teuer, unsicher und können, bei
Entdeckung, wie jetzt peinlich werden.

 

Putins besonderes Problem ist, dass es wohl seine Spione waren. Die Spionageaktionen
wurden in einer Zeit gestartet, als Putin hohe Verantwortung im russischen
Geheimdienst und später als Präsident trug. Entsprechend wird der Misserfolg
auch ihm zugeschrieben (weniger öffentlich, das könnte gefährlich werden, als
in privaten Gesprächen). Zudem macht man sich in Fachkreisen über alte Methoden
und unprofessionelle Durchführung und Verhalten der Spione lustig.

 

Putins herzliches Willkommen für die
unfreiwillig frühen Heimkehrer zielt auf diese Kritik. Nach innen versucht er,
Helden aus ihnen zu machen. Doch auch nach außen gab es am vergangenen Wochenende
ein Signal. Putin gab erstmals zu, was in der US-Presse schon länger vermutet
wird: Die Spione sind aufgrund der Informationen eines abgeworbenen russischen Agenten
aufgeflogen. Ihm drohte er, ohne einen Namen zu nennen, sein Leben werde
schlecht enden. Doch der Mann hat einen Namen. Er heißt Sergej Tretjakow,
Oberst des SWR und 2000, damals arbeitete an der russischen Mission bei den Vereinten
Nationen, übergelaufen. Sergej Tretjakow dürfte künftig öfter über Alexander
Litwinenko nachdenken. Liwinenko, auch russischer Ex-Spion, war 2006 in London
vergiftet worden. Die russisch-britischen Beziehungen beginnen sich gerade erst
von diesem Skandal zu erholen.


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