Sobesednik: Fühlen Sie einen persönlichen Groll gegen Putin? Man geht ja davon aus, dass der Grund alles Ihres Unglücks ihre scharfe Rede bei einem Treffen mit führenden Unternehmern war, die ihn sehr verärgert hat.
Michail Chodorkowskij: Meine Beziehung mit Wladimir Putin ist völlig gegenseitig. Allerdings versuche ich ihn schon nicht mehr als meinen ehemaligen Gesprächspartner, sondern als eine historische Figur aufzufassen. Es gab mal einen russischen Präsidenten mit diesem Namen. Und nun ist ein anderer Präsident. Ob er Russland gut oder schlecht regiert hat, wird die nächste Generation beurteilen.
S: Hatten Sie, nicht bezogen auf ihren Fall, sondern auf die russische Politik, irgendwelche Hoffnungen auf Präsident Medwedjew? Waren diese Hoffnungen gerechtfertigt?
M.Ch.: Ich achte Dmitrij Medwedjew als legitimen Präsidenten Russlands. Ob wohl mir seine politischen Ansichten nicht ganz sind. JUKOS hat nicht geklaut, soviel ist sicher. Er hat also von mir und Platon Lebedew nichts zu befürchten. Alles Weitere zeigt die nähere Zukunft.
S: Sie wurden in das Untersuchungsgefängnis in Tschita gebracht, um dort ein zweites Verfahren gegen Sie zu untersuchen. Das war die offizielle Version. Gab es irgendeine Untersuchung? Und war es dazu wirklich nötig, Sie nach Tschita zu bringen? Oder gab es einen anderen Grund für die Verlegung?
M.Ch.: Das ist eine lustige Frage. In Tschita wurden wir einfach versteckt. Denn nicht jeder Mensch nimmt den Weg bis hinter den Baikalsee auf sich. Ich muss allerdings einräumen, dass man mich nicht sehr am Arbeiten gestört hat, wenn man vom Karzer einmal absieht. Allgemein gesprochen ist Tschita ein sehr interessanter und symbolischer Ort. Dort wurden viele Schulen von den Dekabristen gegründet. Dort gibt es ihre Museen. Die Leute sind interessant, die Richter haben ein Gewissen und sprechen reines Russisch ohne Dialekt. Nur die Armut ist dort sehr wirklich. Eine Armut ohne Grund. Für die sich die Staatsmacht schämen sollte.
S: Im Sommer, als Ihnen die Entlassung auf Bewährung versagt wurde, haben Sie gesagt: „Die Menschen, die den Fall JUKOS organisiert haben, haben Angst, mich in Freiheit zu sehen und tun deshalb alles, damit ich im Gefängnis bleibe“. Sie hatten aber schon zuvor und auch später mindestens dreimal erklärt, sich Ihr Unternehmen nicht wieder zurückholen und sich auch an niemandem rächen zu wollen. Warum haben sie dann, Ihrer Meinung nach, trotzdem Angst vor Ihrer Freilassung?
M.Ch.: Um jede große Sache (sowohl gute als auch – besonders – schlechte) schwirrt ein ganzer Haufen kleiner böser Geister. An den Händen dieser kleinen bösen Geister blieben große Summen hängen. Nun versuchen sie die Staatsmacht davon zu überzeugen, dass die Gefahr nicht ihnen, den kleinen bösen Geistern, sondern dem russischen Staate droht. Bisher ist ihnen das gelungen. Wie es weiter geht, werden wir sehen.
S: In einem Interview sagten Sie, dass das Thema Öl für Sie Vergangenheit sei, dass Sie nicht vor hätten, ins Ölgeschäft zurück zu kehren. Womit wollen Sie sich beschäftigen? Denn früher oder später muss die Staatsmacht sie ja so oder so frei lassen…
M.Ch.: Ja, Geld um des Geldes willen zu verdienen, interessiert mich nicht mehr. Erstens habe ich vor mich mit alternativer Energie zu beschäftigen. Ich würde sie auch eher neue Energie nennen, wenn man ihren künftigen Platz in der Wirtschaft anschaut. Zweitens: Der „Linksschwenk“, über den ich schon 2005 geschrieben habe (damals wurde ich von vielen kritisiert), hat sich nun im Weltmaßstab vollzogen. Es sieht so aus, als ob nicht alle meine Gedanken fehlerhaft sind. Und zum Schluss und ohne falsche Bescheidenheit: Ich bin ein guter Krisenmanager. Ich denke, in dieser Eigenschaft wird man mich nachfragen.
S: Was würden Sie der Wirtschaft in der heutigen Krise raten?
M.Ch.: Der wichtigste Rat an die Wirtschaft: Eine Krise ist der Zeitpunkt für den Umbau und die Verbesserung. Sie ist die Zeit mutiger Entscheidungen. Man muss nicht an das Überleben denken, sondern über seinen Platz in der Nachkrisenwelt. Nur so kann man gewinnen. Anders lohnt das Spiel die Kerzen nicht.
S: Wie haben sich Ihre vielen Freunde und Bekannte verhalten, als sie verhaftet wurden? Haben Sie Ihre Urteile über diese Menschen geändert?
M.Ch.: Im Großen und Ganzen haben sich die Menschen sogar als besser erwiesen, als ich dachte. Und ich glaube sowieso sehr Menschen und an Menschen. Aber wenn ich meine Heimatstadt Moskau kannte, verstanden habe und über die Unterstützung nicht verwundert war, so ist das Verhältnis zu mir in der Provinz, in den Regionen, in denen ich war und gearbeitet habe, einfach bemerkenswert. Wir haben im Allgemeinen gutherzige, gewissenhafte und geduldige Menschen. Und sie zu verderben ist bisher niemandem gelungen und wird, wie ich hoffe, auch niemandem gelingen.
S: Bedauern Sie irgendwelche Ihrer Worte oder Handlungen vor dem Arrest?
M.Ch.: Wir sind alle nicht vollkommen. Besser gesagt, die meisten von uns. Und je älter wir werden, umso kritischer werden die Erinnerungen, Umwertungen und das Bedauern. Ich bin da keine Ausnahme. Aber eines kann ich sicher sagen: Mein Leben war und ist aufregend. Ich langweile mich nicht eine Sekunde. Und ich weiß, warum ich lebe. Beneiden Sie diejenigen, die das wissen.
S: Im Gericht in Tschita, vor dem Ihr Antrag auf Entlassung auf Bewährung verhandelt wurde, wurde bekannt, dass Sie 24 Stunden am Tag unter Videobewachung stehen. Das ist eine schreckliche Anspannung für einen Menschen. Was noch erscheint Ihnen als das Schwierigste im Gefängnis?
M.Ch.: Das Schwerste am Gefängnis ist die Trennung von der Familie. Und was die Videoüberwachung anbelangt – ich bin ja kein Kind mehr… Wenn sie das unterhält, soll es Ihnen gut gehen.
S: Welchen Traum haben Sie im Gefängnis oft gehabt?
M.Ch.: Ich leide nicht an Depressionen und mich verfolgende Träume habe ich nicht. Sollen die kleinen bösen Geister Schlaftabletten schlucken. Oder einfach nur saufen…
S: Haben Sie Hoffnung auf ein gerechtes Urteil im zweiten Prozess oder sind sie von der Voreingenommenheit des Gerichts überzeugt? Sehen Sie Sinn im weiteren Kampf?
M.Ch.: Ob ich hoffe? Immer! Werde ich kämpfen? Ohne jeden Zweifel. Der Weg stärkt den Gehenden.
Erschienen am 18.3.09 im Sobesednik
Übersetzung: Jens Siegert