Noch Mitte 2008 sah die russische Gasstrategie bestechend (aus Sicht des Kremls) bis bedrohlich (aus Sicht der EU) aus: Möglichst alles Gas, das durch Pipelines in die EU gelangt, sollte durch russische oder russisch kontrollierte Rohre fließen. Der einzig vielversprechenden Alternativroute, die NABUCCO-Pipeline aus dem Kaukasus über die Türkei ins europäische Kernland versuchte Gasprom den Hahn zuzudrhene, indem der russische Monopolist versprach, „europäische“, also die höchsten Preise für zentralasiatisches Gas, vor allem aus Turkmenistan zu bezahlen, so es nur durch russische Pipelines fließt. Über diese Monolisierung, so die Rechnung in Russland und das Bangen in der EU, ließen sich nicht nur auf Dauer hohe Preise von den abhängigen Verbrauchern in der EU erzielen, sondern auch politischer Druck aufbauen. So sah es, wie gesagt, noch Mitte 2008 aus.
Doch es kam alles ganz anders. Als Mitte Dezember eine Gaspipeline von Turkmenistan nach China ferielich und mit Pomp eröffnet wurde, schreiben Kommentaroren unisono von einer startegischen Niederlage Russlands. Schon 2010 sollen 40 Millionen Kubikmeter Gas nach China fließen. Offiziell gab es aus Moskau keine Reaktion. Es herrschte beredtes Schweigen. Das hat gute Gründe. Denn es ist weniger so, dass die Chinesen Gasprom ausmanövriert haben, als dass der Gasriese still (und sogar ein wenig heimlich) seine Strategie geändert hat – allerdings weniger freiwillig als gezwungen.
Der Kollaps der Gaspreise in der zweiten Jahreshälfte 2008 hat Gasprom völlig unvorbereitet getroffen. Kurz darauf gab es zwei weitere harte Rückschläge: Aufgrund der Wirtschaftskriese sank Anfang 2009 erst der Verbrauch in der EU stark und dann brach der Markt für importiertes Flüssiggas in den USA praktisch zusammen. Diese drei Entwicklungen stellen gasprom bis heute vor ein grundsätzliches Problem: Wohin mit dem Gas, dass zu vertraglich fixierten und recht hohen Preise man sich verpflichtet hat in Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan abzunehmen? Eine Verpflichtung zudem, die viel kostet, da Gasprom gegenwärtig mehr für das gas bezahlt als es von den europäischen Abnehmern zurück bekommt und die zudem dem politisch vorgegebenen strategischen Ziel dient, den EU-Europäern weiterhin als Monopolist gegenüber zu stehen.
Das kasachische und das usbekische Gas musste Gasprom aufgrund der politischen Beziehungen auch weiterhin abnehmen. Im fall Turkmenistan bot eine Explosion der Pipeline nahe der turmenisch-usbekischen Grenze im April 2009 einen willkommenen Vorwand, die Abnahme der Lieferungen zu stoppen. Dieser Stopp brachte nun seinerseits die Turkmenen in Verlegenheit, aus der sie der Pipelinedeal mit China rettete. Das russische Schweigen ist die gute Miene zu diesem Spiel, die wohl aufrecht erhalten wird, solange das turkmenische Gas mit dem russischen nicht auf westlichen Märkten zu konkurrieren beginnt.
Bisher hält sich in Moskau anscheinend die Hoffnung, dass Öl und im seinem Gefolge auch Gas bald wieder so teuer sein wird, dass sich das Festhalten an der einmal eingeschlagenen Strategie letztendlich lohnt. Auch darum wird an der Ostseepipeline kräftig weiter gebaut und in die südliche South Stream weiter investiert. Allerdings bleibt die Erschließung der Gasfelder, die diese Pipelines einmal füllen sollen, weiter hinter dem Zeitplan zurück. Beim Schtokmanfeld in der Barentsee soll nun erst 2010 mit den Bohrungen begonnen werden und auch auf der Jamal-Halbinsel am Polarkreis geht es nicht recht voran. Zudem werden sich die hohen Investitionen in die Unterwasserpipelines in der Ostsee und dem Schwarzen Meer wohl ohne zusätzliches turkmenisches Gas nicht lohnen. Das fließt nun aber erst einmal nach China. Es sieht alles wie eine Wahl zwischen Skylla und Charybdis aus.