Was bewegt Wladimir Putin? Welche Idee, welche Ideen stecken hinter der nationalkonservativen, geopolitischen Wendung, den die russischen Politik im Inneren, vor allem nach den Protesten gegen Putin im Winter 2011/2012, und auch nach Außen mit dem Aufbau einer Eurasischen Union, der Annexion der Krim, der systematischen Destabilisierung der Ukraine, also der zunehmenden, auch wieder ideologischen Konfrontation mit dem Westen genommen hat? Immer häufiger geben auch dort, im Westen, AnalytikerInnen die Antwort: Alexander Dugin. Ist das etwa so?
Seit einiger Zeit ist Dugin in Russland ein sehr gefragter Mann (siehe dazu auch einen sehr guten Artikel in der taz von Klaus-Helge Donath). Der frühere Mit-Gründer eine National-Bolschewistischen Partei und selbsternannte Geopolitiker gehörte viele Jahre zum obskuren Rand der selbst im Mainstream an obskuren Figuren und Ideen nicht gerade armen russischen Politik. Das hat sich in den vergangenen zwei Jahren und noch einmal mit erhöhter Geschwindigkeit in den vergangenen Monaten seit Beginn der Ukrainekrise geändert. In Russland ist Dugin mit seinen an Carl Schmitt erinnernden Raumtheorien, seiner sozialdarwinistischen Sichtweise auf internationale Beziehungen und seinem faschistoisierenden Behaupten einer besonderen zivilisatorischen Rolle des russischen Volkes seither Mainstream. Jedenfalls wenn Mainstream das ist, was andauernd und ausdauernd im (staatlichen) Fernsehen auftauscht.
Ist Dugin Stichwortgeber für Putin? Vielleicht der Stichwortgeber? Muss man sich die Duginschen Ausführungen also näher anschauen, sie im politischen Sinn des Wortes ernst nehmen, um zu verstehen, was Putin will, wohl gar, was Putin machen wird? Offenbar denken immer mehr von denen so, die im Westen über Russland nachdenken. Der Publizist Ulrich Speck, visiting scholar bei Carnegie Europe in Brüssel, postete heute in Facebook einen entsprechenden Artikel von Robert Zubrin und versah ihn mit folgendem Kommentar: “Here’s Aleksandr Dugin’s game plan for the Ukraine crisis from March. Dugin is an Eurasianist ideologue close to the Kremlin (who’s influence on Putin is however difficult to measure). Ultimately the plan is all about splitting Germany from the US, Germany is the swing state. That is one reason why the Kremlin puts so much energy in winning Germany over.”
Zu diesem Post entsponn sich eine kleine, aber rege Diskussion, an der auch ich mich beteiligt habe und die ich hier in Auszügen dokumentieren will:
Jens Siegert: “Zu viel Ehre für Dugin. Das nimmt nun wirklich niemand ernst. Allein diese Form der Aufmerksamkeit schadet mehr als es jede Ignoranz Dugin gegenüber könnte. Dugin sollte als das beschrieben werden, was er ist: Jemand, der nicht ganz klar im Kopf ist.“
Ulrich Speck: „Und wenn Dugin völlig irrelevant ist, wer sind dann die intellektuellen Vordenker des Putinismus?“
Jens Siegert: „Sicher nicht Dugin. Im Übrigen glaube ich nicht, dass es so etwas wie einen Putinismus gibt. Putin hat sich immer wieder situativ der Versatzstücke und Begriffe dieser oder jener bedient. Daraus ist nie etwas Konsistentes entstanden (im Sinne einer Ideologie). Sollte es auch nicht. Ich zweifele stark daran, dass das diesmal anders ist. Das ist alles instrumentell, wobei Instrument wird, was passt und funktioniert. Die Grundlage bleibt eine mehr oder weniger ausgefeilte Machttechnik, die über Mythenbildung, Mythennutzung und Zwang Zustimmung erzeugt, auch wenn sie dabei immer wieder politische Erfolge vorweisen muss. Kurz: Es gibt keine ‚intellektuellen Vordenker‘, sondern nur Techniker der Macht, manchmal feiner, fast postmodern zisilierende wie lange Zeit Wladislaw Surkow, dann wieder eher grob hämmernde und scheidende wie seit Putins Rückkher in den Kreml Wjatscheslaw Wolodin .“
Albrecht Kolthoff: „Putin hat sich zwei Mal bei sehr prominenten Gelegenheiten recht unverblümt bei Dugin bedient, nämlich in seiner Ansprache anlässlich der Krim-Annexion am 18.3. und einen Monat später bei der Marathon-TV-Show, in der er quasi vor seinem gesamten Volk eben jenes „Novorossiya“ beschwor, das Dugin erst wenige Wochen zuvor ausgerufen hatte. Zukünftige Promotionsarbeiten werden sich sicherlich mittels Textanalysen und -vergleichen daran abarbeiten können, aber es ist jetzt schon klar, dass Putin bestimmte Meme von Dugin hat und sie sehr bewusst und zielgenau einsetzt.
Dazu kommt noch: bestimmte Akteure von „Novorossiya“ stehen auch in direktem Kontakt mit Dugin, so etwa Pavel Gubarev bzw. seine Ehefrau während dessen Inhaftierung, oder Denis Pushilin. Insofern ist Dugins Novorossiya-Skript durchaus keine Schreibtisch-Spinnerei eines abgedrehten Ersatz-Rasputins, sondern sehr konkretes Handlungskonzept.“
Ulrich Speck: „Jens Siegert: so überzeugend die kühl-rationale Analyse ist, so brauchen doch auch Machttechniker so etwas wie Narrative, Stichworte, Weltbilder. Und diese müssen doch auch irgendwo herkommen. Und haben selbst wieder Wirkung. So ganz irrelevant sind Begriffe nicht. Braut sich da nicht doch etwas wie eine konstantere Russland-Idee zusammen, und ist nicht doch jemand wie Dugin eine der Substanzen, die da hineingemischt werden?“
Jens Siegert: „Ob sich da etwas Konsistentes, vor allem aber Dauerhaftes zusammen braut, ist schwer zu sagen. Wenn ich heute gefragt werde, sage ich: eher nicht. Und danach, nach diesem Urteil muss ich mein Handeln (in meinem Fall: Schreiben) richten. Ich bin sicher, dass zu große Aufmerksamkeit solche Leute wie Dugin nur größer macht und ihren Unsinn wirkungsmächtiger. Das heißt ja nicht, dass das völlig ungefährlich ist. Wir sollten es nur nicht größer machen als es ist. Das würde zu falschen Analysen der Motive Putins führen und damit zu falschen Reaktionen und Aktionen. Es ist meiner Überzeugung nach falsch und funktioniert nicht, Steinmeier etc. mit der großen Eurasiafaschokeule zu anderem Handeln zu bewegen zu versuchen.“
Ulrich Speck „Mein Gedanke ist nicht die Fascho-Keule. Sondern die Frage, ob wir nicht gerade eine Legitimationsverlagerung sehen: von der Teilhabe an Einnahmen aus Öl- und Gas (materialistisch-zynisch) zu ideologisch-patriotisch: Russlands Wiederauferstehung als Großmacht und Gegenmacht, wofür dann auch Opferbereitschaft eingefordert werden kann.“
Jens Siegert: „Aber natürlich sehen wir den Versuch dazu. Das ist genau das, was ich als „Re-Ideologisierung“ der staatlichen Politik in Russland bezeichne. Aber die hat erstens viele Facetten, nicht nur und nicht einmal in erster Linie Dugin. Und zweitens ist sie, zumindest bisher, vorwiegend instrumentell (auch wenn sie natürlich die Gefahr einer Verselbstständigung in sich trägt, auch und vor allem, weil sie zum, wie soll man sagen, ‚Lebensgefühl‘ der Macht-Habenden und ihres Anführers durchaus passt).