Igor Awerkijew ist ein bekannter Mann. Und er ist erfolgreich. Außerdem provoziert er gern. Freund und Feind. Von Perm, einer Millionenstadt vor dem Ural, in der er zu Hause ist, wird gern als der „heimlichen Zivilgesellchafts-Hauptstadt Russlands“ gesprochen. Das ist duchaus gerecht. Außer vielleicht in Moskau, das auch hier in einer anderen, im übrigen Land unerreichten Liga spielt, haben NGOs nirgendwo in Russland soviel Einfluss wie in Perm. Hier gibt es zum Beispiel das einzige (regionale) Gesetz, dass NGOs ganz offiziell die öffentliche Kontrolle geschlossener staatlicher Einrichtungen gestattet. Permer NGO-Aktivisten tauchen regelmäßig, aber unangeldet in Gefängnissen, geschlossenen Kinderheimen oder psychatrischen Kliniken auf und dürfen als Kontrolleure nicht abgewiesen werden. Igor Awerkijew, einst, Anfang der 1990er Jahre, erster Vorsitzender einer sozialdemokratischen Partei Russlands, dann Mitgründer des Permer Menschenrechtszentrums und heute Vorsitzender der Permer Zivilgesellschaftskammer, hat daran und an anderen Permer Besonderheiten eine hervorragenden Anteil.
IIgor Awerkijew nimmt auch gern Stellung. Oft mit Meinungen quer zum Üblichen, zum Komment. Berüchtigt sind seine Kritiken an seinen russischen NGO-Kollegen im Menschenrechtsbereich. In Berlin provozierte er vor ein paar Jahren bei den deutsch-russischen Herbstgesprächen das wohlmeinende und meist kremlkritische Publikum mit der Forderung, russische NGOs nicht mehr finanziell aus dem Westen zu unterstützen, damit sie lernten, zu Hause im eigenen Land Geld einzuwerben. Vor zwei Jahren machte er mit einem Artikel unter der Überschrift „Putin – unser guter Hitler?“ viel Lärm. Viele NGO-Freunde waren besorgt. Eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung wurde eingeleitet, aber recht schnell wieder eingestellt.
Nun hat der Geheimdienst FSB gegen Awerkijew wegen eines neuen Artikels ein Strafverfahren eingeleitet. Der Aufsatz mit dem Titel „Wenn wir den Kaukasus verlassen, werden wir freier und stärker“ (auf Russisch), so die Staatsanwaltschaft, enthalte „Anzeichen eines öffentlichen Aufrufs zu extremistischen Handlungen“. Der Extremismusparagraph des russischen Strafgesetzbuchs steht schon länger in der Kritik, ein Universalinstrument in der Hand des Staates gegen Andersdenkende zu sein. Oder gegen überhaupt Denkende. Denn das hat Igor Awerkijew in seinem Aufsatz getan. „Russland ist kein ideales Land,“ beginnt der Artikel. „Ganz und garnicht nicht ideal, und sogar nicht europäisch. Aber sogar für unser nicht europäisches. nicht ideales Land ist das heutige Tschetschenien einfach zuviel.“ Daran anschließend entwickelt Igor Awerkijew die These, dass sich das heutige Russland selbst in seiner Putinsch-Medwedjewschen Form und das Kadyrow-Tschetschenien doch sehr fremd seien. Auch, dass die Russen die Tschetschenien nicht für zu sich gehörend halten und die Tschetschenien sich nicht zu Russland zugehörig. Das krampfhafte Festhalten Russlands an Tschetschenien, so Awerkijews Schluss, nutze Russland wenig aber schade viel. Am besten wäre es, Tschetschenien auch formell in die Unabhängigkeit zu entlassen, die es tatsächlich schon längst hat. (auf Russisch), so die Staatsanwaltschaft, enthalte „Anzeichen eines öffentlichen Aufrufs zu extremistischen Handlungen“.
Der Extremismusparagraph des russischen Strafgesetzbuchs steht schon länger in der Kritik, ein Universalinstrument in der Hand des Staates gegen Andersdenkende zu sein. Oder gegen überhaupt Denkende. Denn das hat Igor Awerkijew in seinem Aufsatz getan. „Russland ist kein ideales Land,“ beginnt der Artikel. „Ganz und gar nicht nicht ideal, und sogar nicht europäisch. Aber sogar für unser nicht europäisches. nicht ideales Land ist das heutige Tschetschenien einfach zuviel.“ Daran anschließend entwickelt Igor Awerkijew die These, dass sich das heutige Russland selbst in seiner Putinsch-Medwedjewschen Form und das Kadyrow-Tschetschenien doch sehr fremd seien. Auch, dass die Russen die Tschetschenien für nicht zu sich gehörend halten. Und die Tschetschenien sich umgekehrt nicht zu Russland gehörend. Das krampfhafte Festhalten Russlands an Tschetschenien, so Awerkijews Schluss, nutze Russland wenig aber schade dem Land sehr. Am besten wäre es folglich, Tschetschenien, auch formell, in die Unabhängigkeit zu entlassen, die die Kaukasusrepublik unter Kadyrow längst schon erlangt hat.
Nun kann man über die Thesen Igor Awerkijews lange, ausführlich und auch kontrovers streiten. Doch das ist nicht des russischen Staates und seiner Sicherheitsorgane Sache. Sie funktionieren nach anderen Prinzipien. Eines davon geht so: Wenn die politische Führung in ihrer Weisheit und Machtvollkommenheit es für richtig befunden hat, eine Handlung unter Strafe zu stellen, dann gibt es diese Handlung erstens und es ist zweitens die Aufgabe der Sicherheitsorgane die so Handelnden dingfest zu machen. Also machen sie sich auf die Suche. Finden ist Pflicht. Es gibt, gute alte sowjetische Tradition, Aufklärungsnormen, die erfüllt werden müssen. Wenn eine Polizeieinheit in ihrem Verantwortungsbereich nicht genügend „Extremisten“ findet, so deutet das aus Sicht der Verantwortlichen nicht darauf hin, dass es vielleicht keine gibt, sondern nur auf die schlechte Arbeit der Polizisten. Denn „oben“ ist ja schon durch das Gesetz fetsgestellt worden, dass es die „Extremisten“ gibt und postuliert, dass sie gefährlich sind.
„In Russland existieren realer Extremismus und der „Kampf gegen den Extremismus“ getrennt voneinander und begegnen sich nur selten“, schreibt Igor Awerkijew in einem Kommentar zum Strafverfahren gegen ihn. Und versucht im Anschluss noch einmal zu erklären, warum der Kreml inzwischen mehr voin Kadyrow abhängig ist als umgekehrt. Ansonsten sieht er, bekannt und erfahren, dem Ausgang des Verfahrens eher gelassen entgegen. Das er sich das leisten kann, ist aber eher die Ausnahme. Viele kleine Extremismusverfaheren führen zu Verurteilungen und Schließungen von NGO. Das liegt auch daran, dass sich viele Menschen in Russland nicht trauen, sich gegen die Miliz und schon gar nicht gegen den für den „Kampf gegen den Extremismus“ zuständigen FSB zu wehren. Das ist zwar individuell verständlich, aber aller Erfahrung nach in den meisten Fällen ein Fehler. Größtmögliche Öffentlichkeit hilft sehr oft.
Deshalb gibt es auch Hoffnung im Fall der Menschenrechtsorganisation AGORA und ihres Vorsitzenden Pawel Tschikow aus der Wolgastadt Kasan. Das Büro von Aurora wurde am 21. Juli fünf Stunden lang durchsucht und Pawel Tschikow danach fünf Stunden lang vom FSB vernommen. Der Vorwurf: Geldwäsche und Unterstützung von Terroristen. Während des fünfstündigen Verhörs wollten die Untersuchungsbeamten nach Angaben von Tschikow alles über die Herkunft ausländischer Grants wissen. Tschikows Organisation wird unter anderem vom Open Society Institue und der MacArthur Foundation unterstützt. Immerhin konnte Pawek Tschikow nach dem Verhör noch scherzen, er sei sich wie ein Trainer bei einem Seminar für Fundraising vorgekommen. Außerdem kann er auf eine erst im mai bestandene eingehende Prüfung der Steuerbehörde verweisen. Was und wer hinter der Durchsuchung von AGORA steht, ist bisher noch unklar. Mehrere Behörden schieben sich vorerst die Verantwortung zu. Durch die sofortige Öffentlichkeit besteht aber eine große Chance, dass die Sache im Sand verlaufen wird. Solange das vor drei Jahren verschärfte NGO-Gesetz aber vor allem aus dem Ausland kommende Unterstützung für russische NGO unter strengen Generalverdacht stellt, können sich vergleichbare Situationen jederzeit und überall in Russland wiederholen.