Zur Diskussion um das ARD-Interview mit Wladimir Putin

Mit einer guten Woche Abstand und nach Rekordzugriffszahlen auf meinen Putins-Milliarde-Post in diesem Blog will ich noch einmal auf das ARD-Interview mit Putin zurück kommen. Das Interview hat, gelinde gesagt, sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Für mich selbst am überraschendsten war die heftige Kritik an Jörg Schönenborn und der ARD, die ausgewiesene „PutinkritikerInnen“ und „PutinversteherInnen“ (frau und man verzeihe mir die vereinfachende Pauschalisierung) vereinte.

Putin habe Schönenborn eingemacht, hieß es da, je nach Sympathie für  Putins Russland, sich freuend oder sich ärgernd. Ein paar der Kritiken seine hier paraphrasiert: Das sei unprofessionell gewesen. Das Interview hätte nicht Schönenborn führen dürfen, sondern die KorrespondentInnen vor Ort führen müssen. Und wenn das der Kreml nicht gewollt hat, dann hätte die ARD nein sagen müssen. Schönenborn sei unvorbereitet gewesen, ja unterwürfig, hätte sich von Putins Körpersprache und seinen Angriffen aus dem Konzept bringen lassen, an die Wand drücken, zahnlos, eben öffentlich-rechtlich-beamtisch. Kurz: Die ARD hat es verpatzt. Sie hat dem Despoten eine 8-Millionen-Zuschauer-Bühne geboten, um seine Unwahrheiten, Verdrehungen und Lügen zu verbreiten, also ihre Aufklärungspflicht verraten und schlechten Journalismus abgeliefert. Die „PutinversteherInnen“ freuten sich derweil eher still. In Deutschland.

Anderswo wurde das Interview anders wahrgenommen. Außerhalb der Kreml-kontrollierten Medien überwog in Russland meiner Einschätzung nach die Zustimmung (um gleich vorzubeugen: Ich verfüge selbstverständlich nicht über valide Umfragedaten, das ist also wirklich nur mein Eindruck aus einer ganzen Reihe von Gesprächen und der Lektüre vieler Artikel, die ich, noch einmal selbstverständlich, zufällig und damit höchst subjektiv ausgewählt habe). Schönenborn habe Würde gezeigt, sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Er habe nicht gekuscht, sich nicht vor Putin gerechtfertigt. Putin hingegen sei die Nervosität anzusehen. Wie er mit den Füßen gescharrt habe, den Kiefern gemahlen, zeige, wie ärgerlich, wie unzufrieden er gewesen sei. Vor allem aber habe der Interviewer Putin dazu gebracht, erneut offensichtlich für alle Dinge zu sagen, die ihn als Lügner entlarvten. Die NGO-Milliarde sei nur die Spitze des Eisbergs.

Doch nicht nur in Russland scheint das Interview anders aufgenommen worden zu sein, als in Deutschland. Der Economist zum Beispiel beginnt diese Woche einen Artikel zu den Repressionen gegen NGOs mit folgenden Sätzen: „The body language gave Vladimir Putin away. In a German television interview he was not at all his composed self. Everything irritated him: the calm, smiling interviewer questioning him about a crackdown on civil society, the headsets, his own staff for not finding a document fast enough.“

Nun zum Interview und zuerst ein paar Worte zur Vorgeschichte: Alles war eine Initiative des Kreml. Sie fragten bei ARD und ZDF an, wollte Kleber oder Maybritt Illner (die sie nicht bekamen) oder ähnlich bekannte Kaliber bei der ARD. Zum Schluss stimmte die ARD dem Chefredakteur, also Schönenborn zu. Dafür wurde eine Länge von genau einer halben Stunde vereinbart, die der Authentizität wegen ohne Schnitte gesendet werden sollte, zusätzlich zu einer zehnminütigen Kurzfassung. Das ist ein Arrangement, das mit so hochrangigen ausländischen Politikern durchaus üblich ist. Als Nicht-Russland-Spezialist, musste Schönenborn natürlich intensiv gebrieft werden. Klar, dass da bei so kurzer Vorbereitungszeit Lücken blieben.

Jetzt zum generelle ruhigen Verhalten des Interviewers. Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, solch ein Interview zu führen (ich zitiere hier eine anonym zu bleibende, hochkompetente Kollegin):

  • Ein Info-Interview wie mit einem Korrespondenten in Syrien oder so, der beschreibt was er erlebt oder erklärt was andere nicht wissen können;
  • Ein Interview, in dem man versucht, den Gesprächspartner ein wenig aus sich raus zu locken, um zu kapieren wie er tickt;
  • Ein konfrontativ-investigatives Interview.

Ersteres verbietet sich von selbst, aber auch letzteres sollten selbst Russland-KennerInnen bei Putin vergessen. Das kann er einfach zu gut. Hard Talk kann nur schief gehen. Außer natürlich, man will es auf einen Eklat ankommen lassen, zehnmal die gleiche Frage stellen, weil Putin nicht antwortet, sondern ausweicht (wie bei der Zypernfrage, als er von der russischen Einkommensteuerflatrate von 13 Prozent anfing). Der Effekt wäre aber verheerend, auch, weil respektlos. Wie sauber und legitim auch immer, der Mann ist Präsident seines Landes.

Außerdem ist es ein gerade in Bezug auf Russland eher befremdendes Verständnis, dass JournalistInnen die großen AufklärerInnen zu sein haben. Diese Rolle hatten sie vor allem Ende der 1980er und in den 1990er Jahren. Seinerzeit gehörten gerade JournalistInnen zu den bewegenden Kräften einer Öffnung und Demokratisierung des Landes. Zur Entwicklung einer allgemein anerkannten journalistischen Ethik hat dieses wohl unvermeidliche Engagement gleichwohl nicht beigetragen. Vielmehr verfestigte sich damit (positiv wie negativ) die Vorstellung, JournalistInnen seien nur eine weitere Gruppe in der politischen Auseinandersetzung (neben, zum Beispiel, PolitikerInnen, ExpertInnen und PR-Fachleuten). „Guter“ Journalismus wird also in Russland bis heute in vielen daran gemessen, welcher (politischer) Haltung er anhängt und weniger daran, ob der Versuch, möglichst nah an dem, was war zu berichten, zu informieren und zu kommentieren (und, ganz wichtig, dieses Genres auch allgemein kenntlich zu trennen) gelungen ist. Ein Interview mit Erkenntnis-, aber nicht Entlarvungsinteresse, wie es meiner Ansicht nach Jörg Schönenborn geführt hat, zeigt, wie man es machen kann.

Das dabei (auch) „dem Kreml Bilder geliefert“ werden, ist unvermeidlich. Dass der Kreml das auszunutzen versucht, ebenfalls. Dass Interviewte oft, vorsichtig ausgedrückt, eine besondere Sicht der Dinge haben, ist geschenkt. Es sind dann die Mühen der Ebenen der Aufklärung, das einzuordnen, zu kommentieren, meinetwegen auch gerade zu rücken, indem andere ebenfalls zu Wort kommen. Das ist in den Tagen nach dem Interview vielfältig geschehen. Gerade das Interview bot einen vielgenutzten Anlass dazu. Putins Reise und sein Auftritt bei der Hannover Messe hätten das nicht geschafft.


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