Warum ich ein Buch mit dem Titel „111 Gründe, Russland zu lieben“ geschrieben habe – das Vorwort

Der erste und einfachste Grund ist, dass mir das der Berliner Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf angeboten hat. Dort erscheinen ganz viele Bücher mit diesem Titel: „111 Gründe, XXX zu lieben“, Fußball, Pilze, den Tatort oder eben auch ganze Länder. Der Titel ist also ein Markenzeichen des Verlags. Nach kurzem Nachdenken habe ich das Angebot angenommen. Warum, begründe ich im Vorwort meines Buchs „111 Gründe, Russland zu lieben“.

 

Vorwort 

Russland zu lieben und dafür gleich so viele Gründe zu finden? Das ist nicht einfach. Das Land ist einfach zu groß. Es entzieht sich jeder Umarmung. Versucht einen aber schnell selbst zu umarmen. So ein riesiges Land ist schon schwer zu verstehen. Aber gleich lieben? Es gibt ja Menschen, die meinen, man könne Russland gar nicht verstehen. Man müsse an das Land einfach glauben. Auch viele Russen sagen das. Es mag stimmen, wenn man es gleich in seiner ganzen Größe von der Ostsee bis zum Pazifik, vom Schwarzen Meer bis zum Arktischen Ozean in Angriff nimmt. Einfacher geht es vielleicht, tatsächlich, indem man viele kleine und große Gründe finde: die Großherzigkeit vieler Menschen, den phantastischen Baikalsee, das ständige Abenteuer oder einfach nur die mitunter unendlich scheinende Weite.

Ich werde in Russland immer wieder gefragt, ob ich denn Deutschland liebe, und antworte wie einst Gustav Heinemann: Ein Land ist einfach zu groß, um es insgesamt zu lieben. Man kann einzelne Menschen lieben, eine bestimmte Musik, die Art, sich umeinander zu kümmern, die Sprache.

Bei vielen Russinnen und Russen hat die Liebe zu ihrem Land etwas von Mutter- oder Vaterliebe. Es ist halt ihr Land. Sie sind hier aufgewachsen, mit Sprache, Landschaft, Kultur und Menschen eng verbunden. Da bedarf die Liebe kaum einer Erklärung. Eher schon, wenn es anders sein sollte. Mit mir als Ausländer, der zwar schon sehr lange in Russland lebt, aber zu spät hierher gekommen ist, um eine sozusagen noch kindliche Zuneigung zu fassen, ist das weit schwieriger. Eher so, wie zwischen Erwachsenen. Es gab eine schnelle Verliebtheit. Man gewöhnte sich aneinander, lernte sich näher kennen. Dann aber kamen auch Krisen und Zweifel. Und wenn ich heute meinen Beziehungsstatus in Facebook Russland gegenüber bestimmten sollte, würde ich wahrscheinlich „es ist kompliziert“ auswählen. Ich liebe Russland, auch weil ich es oft nicht verstehe. Und ich manchmal verzweifele an dem Land.

Und dann gibt es noch die bittersüßen Gründe der Liebe, bei denen einem, wie man in Russland sagt, „die Seele weh tut“. Bitterness kommt oft auf, wenn es dem geliebten Subjekt schlecht geht. Wenn es ihm nicht gelingt, glücklich zu sein. Wenn es nicht schafft, das aus sich zu machen, was in ihm steckt. Unglücklich ist. Mit sich selbst hadert. Wenn es mit sich selbst nicht im Reinen ist. Das ist Russland oft. Eigentlich fast immer. Aber auch hier hilft es aber meist den Blick zu schärfen, nicht nur auf das große Ganze zu schauen, sondern näher, auch genauer auf die Einzelheiten, die Musik von Tschajkowkij, die grandiose Natur, vielen unterschiedlichen Kulturen. Und immer wieder auf die vielen, einzelnen Menschen, die Russinnen und Russen sind, aber ganz unterschiedlich, verschieden, mit Gemeinsamkeiten, aber auch vielem Trennenden. Sie zusammen machen dieses Land letztendlich aus und sie machen es, zumindest für mich, liebenswert.

Die Auswahl der 111 Liebesgründe, das dürfte bereits klargeworden sein, ist also hochpersönlich. Jeder und jede andere der vielen Russlandliebhaber, die ich kenne, würde weitere Gründe finden und viele von meinen Gründen weglassen. Den wichtigsten Grund aber habe ich ausgelassen. Ohne meine Frau Jekaterina Schukschina hätte ich wohl weder Russland so lieben gelernt, noch so viel über das Land gelernt. Wahrscheinlich hätte ich ohne sie irgendwann zwischendurch, in einer der Beziehungs-Krisen, einfach aufgegeben.