Russlands Trump – Trumps Russland

Russland ist anders. Jedenfalls behaupten das viele Russen gern, vor allem die an der Macht. Aber auch im Westen wird das mitunter gern geglaubt und erzählt. Aktuell gibt es zumindest in einem Punkt dazu eine (fast schon) wissenschaftliche Bestätigung. Während sich Mehrheiten in fast allen anderen großen Ländern wegen eines möglichen US-Präsidenten Donald Trump sorgen oder ihn sich zumindest nicht wünschen, finden die meisten Russen Trump einfach klasse.

Einer vorige Woche veröffentlichten Umfrage in sechs großen Ländern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Mexiko, Kanada und Japan) zufolge fürchtet sich eine Mehrheit dort vor einem Trump-Triumph bei den US-Präsidentenwahlen Anfang November . Schon Mitte April hatte eine andere, vom Handelsblatt in Auftrag gegebene Umfrage in den G20-Ländern (außer den USA) ergeben, dass nur in Russland bei einem Duell Trump-Clinton eine Mehrheit der Menschen für Trump stimmen würde. In allen anderen befragten Ländern lagen die Trump-Befürworter mindestens 20 Prozent hinter seinen Gegnern zurück.

In der russischen politischen Elite bis in die höchste Spitze scheint die Vorfreude auf einen möglichen US-Präsidenten Donald Trump sogar noch größer zu sein als in der Bevölkerung. Bereits im vorigen Dezember nannte Präsident Putin Donald Trump ohne seinen üblichen Spott, sondern durchaus anerkennend einen „brillanten Mann voller Talente“. Der erfahrene außenpolitische russische Kolumnist Konstantin von Eggert fasst die im politischen Moskau verbreiteten Vorstellungen von Trump, ein wenig provokant, so zusammen: „In Moskau, auch im offiziellen, stellen sich viele Donald Trump als eine Art überseeischer Berlusconi auf Steroiden vor. Und wenn er gewählt wird, so glauben diese Leute, dann können die Probleme in den russisch-amerikanischen Beziehungen in kürzester Zeit gelöst werden.“

Warum ist ausgerechnet in Russland (und offenbar nur hier) Donald Trump so populär? Auf diese Frage gibt es mehrere Antworten. Zum einen passt die von Konstantin von Eggert gemachte Beobachtung sehr gut in das hoch zentralisierte und durchweg personalisierte politische Denken in Russland. Personen sind alles – Institutionen sind nichts. Diesen mitunter reichlich simplizistischen Vorstellungen zufolge müssen sich zu wirklicher Problemlösung nur echte Männer, also solche wie Putin, nun Trump, früher Berlusconi, Sarkozy oder Schröder, aber keinesfalls so postmoderne Schlaffis wie Obama oder gar Frauen wie Merkel (für Margaret Thatcher würde bestimmt eine Ausnahme gemacht), zusammensetzen. Unter Männern kann man dann schon mal gordische Knoten durchschlagen. Egal ob es sich nun um die westlichen Sanktionen wegen der Krimannexion und des Kriegs in der Ostukraine geht, um den (schon nicht mehr nur Bürger-) Krieg in Syrien oder die angebliche Bedrohung Russlands durch die NATO.

Ebenso wichtig ist für viele Menschen in Russland (und, ich werde das fürderhin nicht mehr extra erwähnten, besonders in der politischen Klasse), dass Trump ein „traditioneller“ Mann ist: stock heterosexuell, patriarchalisch, vor allem aber die hierzulande weit verhasste und angeblich das Kernstück einer „westlichen“ Form von Demokratie ausmachende „politische Korrektheit“ ver- und missachtend. „Politische Korrektheit“ ist vielen in Russland eine Chiffre für das Streben nach westliche Dominanz und Infiltrierung, ausgeübt durch hinterhältige Softpower zur Schwächung des Landes und seiner heimlichen Kolonialisierung. In der von Angst gespeisten Verwechselung von demokratischen Instituten mit einer ihrer mitunter zum Autoritären neigenden Begleiterscheinungen zeigt sich am Deutlichsten das Fremdeln großer Teile des Landes mit den Regeln moderner, demokratischer und also offener Gesellschaften, die dazu führen, dass (männliche) rohe Kraft, Gewalt oder Willkür weit weniger gefragt (und erfolgreich) sind als Verfahren, Recht und die Fähigkeit zu möglichst gleichberechtigter Kommunikation. Seit langem sagen russische Auguren dem Westen (Spenglers Abendland) voraus, genau daran, an der daraus resultierenden Verweichlichung und Dekadenz, zugrunde zu gehen.  Das Wohlwollen, mit dem der Aufstieg Trumps in den US-Vorwahlen gegen die etablierte politische Elite in Russland aufgenommen wird ist deshalb doppeldeutig. Zum einen erscheint es als Fortsetzung des Aufstiegs rechtspopulistischer und rechtsradikaler Parteien und Bewegungen in (West-)Europa und somit als eine Art Gesundung, als Wendung des Westens in die richtige Richtung, also nach Osten. Zum anderen zeugt es davon, dass nach der (aus russischer Sicht) westlichen Peripherie, den Extremitäten sozusagen, der Faulungsprozess nun den Körper, das Zentrum erreicht.

Die positive Wahrnehmung Trumps in Russlands politischer Klasse speist sich zudem aus einer tief empfundenen Ähnlichkeit. In vielem benimmt sich Trump (egal ob das nun genuin oder taktisch ist) ja genau so, wie Putin es bevorzugt in der internationalen Politik immer wieder versucht: er handelt unberechenbar, versucht zu überraschen, benimmt sich gegen herkömmliche politische Regeln und Weisheiten, mal polternd, mal drohend, mitunter ausfällig, gibt sich als (unverdorbener) Underdog, der gegen das (natürlich zutiefst korrumpierte, verkommene, unfähige wie unwillige) politische Establishment zu Felde zieht. Das imponiert. Denn genau so sieht sich der Kreml dem Westen gegenüber. Kurz: Viele Menschen in Russland sehen in Trump sich selbst und ihr Land.

In Gesprächen mit außenpolitischen Experten in Russland hört man zudem oft den Hinweis, Trump sei außenpolitisch unerfahren(er als Hillary Clinton), und zudem die Mutmaßung, dass er wenig auf Berater höre. Würde er Präsident, so habe die ja nun international wirklich erfahrene russische Führung also einen großen Vorteil, den sie zu ihren Gunsten nützen könne.

Aber ist das alles, ist Trump wirklich so? Würde es mit ihm als US-Präsident für Russland im Umgang mit den USA tatsächlich einfacher werden? Zweifel sind angebracht. Zwar hat Trump, vor allem zu Beginn des Vorwahlkampfes in den USA durchaus zu dieser Annahme Anlass gegeben. Er hat Putin gelobt und als starken politischen Führer beschrieben: Putin habe gut über ihn gesprochen und er denke gut über Putin. Wörtlich sagte er dem Fernsehsender NSNBC: „Er führt sein Land, ist wenigstens ein Führer, anders als wir das hier in unserem Land haben.“ Trump stellte überdies, sehr zur Freude vieler in Russland, das US-amerikanische Engagement in der NATO und vor allem den US-Beitrag zum Schutz der europäischen Verbündeten in Frage. Auch eine engere Zusammenarbeit mit Russland in Syrien schloss er mehrfach nicht aus.

Dann aber forderte Trump Anfang Mai in einem Interview, US-Militärflugzeuge sollten russische Kampfjets künftig abschießen, wenn sie US-Flugzeugen oder Kriegsschiffen weiterhin gefährlich nahe kämen und diplomatische Kanäle zur Verhinderung solcher Vorfälle nicht funktionierten. Gar vor einem dritten Weltkrieg warnte Trump (in dem nach Lage der Dinge neben China wohl nur Russland als Hauptgegner der USA in Frage kommt). Mitte März sah sich Kremlsprecher Dmitrij Peskow dazu genötigt, einen Werbeclip von Trump zu kommentieren, in dem Hillary Clinton, Trumps voraussichtliche Gegnerin bei der Wahl im November, sehr polemisch für ihre angeblich schwache außenpolitische Haltung, unter anderen gegenüber Putin kritisiert wurde. Trump dämonisiere Russland gezielt, klagte Peskow.

Auch streicht Trump immer wieder die besondere Rolle der USA in der Welt heraus. Genau das ist es aber, was der Kreml wiederholt und schon lange als anmaßend kritisiert und unbedingt ändern will. Außerdem gilt, auch in der in Russland überwiegenden Wahrnehmung, die Unvorhersagbarkeit, das systematische Ausnutzen des Überraschungsmoments, das Sich-nicht-an-Regeln-Halten bisher als Putins Markenzeichen und großer Vorteil. Die gegenwärtige US-Führung unter Barack Obama mag aus russischer Sicht schwierig sein, aber sie ist weitgehend berechenbar und hält sich an Abkommen und Absprachen. Bei Trump wäre das nicht sicher (und genau das ist wohl auch einer der wichtigeren Gründe, warum er in den meisten anderen Ländern auf soviel Misstrauen stößt).

Dass Trump trotzdem weiterhin vielen als der (für Russland) bessere Kandidat gilt, mag auch daran liegen, dass es in Russland die Tendenz gibt, das politische System der USA (wie auch der anderen demokratischen Länder im Westen) mit dem eigenen gleichzusetzen, also die demokratischen Institutionen weitgehend für eine Fassade zu halten, hinter der die „eigentlichen“ Herrscher die Fäden ziehen. Das könnte zu gefährlichen Fehleinschätzungen führen, denn ein US-Präsident hat zwar als oberster Chef der Exekutive und Oberbefehlshaber der Streitkräfte sehr viel Macht und Handlungsspielraum, ist aber doch in ein eng gesponnenes Netz von checks and balances eingebunden.

So ist die Faszination von Trump in Russland zwar erklärlich, die sich darin ausdrückende Hoffnung könnte sich aber als trügerisch erweisen.