Ostern. In West und Ost

Ostern. In West und Ost. Ein Fest der Freude und der Versöhnung. Eigentlich. Was ein Symbol des Zusammenwachsen sein könnte, bleibt doch nicht mehr als ein astronomischer Zufall. Auch wenn das Ostern der Westkirchen und das Ostern der Orthodoxie dieses Jahr zusammen fallen, bleibt eine große Trennung. Man versteht einander nicht. Das geht bis in die Politik.

Schon 2007 veröffentlichte das European Council on Foreign Relations einen sogenannten «Power Audit» zu den EU-russischen Beziehungen. Dort wurden die EU-Länder in fünf Kategorien eingeteilt. Die fünfte Kategorie nannten die Autoren das «trojanische Pferd» Russlands in der EU und sie bestand aus zwei Ländern: Griechenland und Zypern, beides Länder mit überwiegend christlich-orthodoxer Bevölkerung (Deutschland landete übrigens in der zweitrusslandfreundlichsten Kategorie).

Nun weiß auch eine größere Öffentlichkeit spätestens seit der Zypern-Euro-Krise (schon der «Power Audit» strich das heraus), dass sich diese Affinität nicht nur gemeinsamen religiösen Traditionen verdankt, sondern hinter ihr handfeste ökonomische Interessen stehen. Russisches Fluchtgeld hielt und hält die zypriotische Wirtschaft am Laufen. Eine gemeinsame religiöse Tradition mag also gewisse Dinge erleichtern, manchmal gar so etwas wie Solidarität befödern, aber allzu sehr sollte man sich darauf nicht verlssen.  So geht denn auch der gegenwärtig schärfste Konflikt innerhalb Europas quer durch den orthodoxen Osten geht.

Wobei es noch eine gute Frage, vielleicht sogar die Frage ist, wo denn die Trennlinie ist, die Osteuropa in einen eigenen Westen und eigenen Osten teilt. Und ob es diese Trennlinie so scharf überhaupt gibt. Eher nicht. Aus Sicht vieler Menschen in Russland (und sicher der der russischen Staatsführung) gehören die seit Monaten als angebliche «Faschisten» geschmähten (West-)Ukrainer gar nicht zur orthodoxen Welt, denn sie feiern den Gottesdienst zwar nach orthodoxer Liturgie, erkennen aber den Papst als Oberhaupt an

Allein das schon verkennt (die Frage ist, ob bewusst oder unwissend) die Diversität der Ukraine. Die meisten Ukrainer gehören Gemeinden an, die sich (zumindest bisher) dem Moskauer russisch-orthodoxen Patriarchen unterordnen (wenn auch mit ein paar nicht ganz unwichtigen Privilegien). Und die meisten dieser Gemeinden liegen in der Westukraine, also in Gegenden auf die selbst viele Moskauer Großnationalisten kaum Anspruch erheben.

Es ist in den vergangenen Wochen schon vielmals gesagt und geschrieben worden, kann aber nicht oft genug betont werden: Einfache Erklärungen und Zuordnungen wie die Aufteilung der Ukraine in einen «ukrainischen» Westen und einen «russischen» Osten sind nicht mehr als Propaganda. Sie haben mit der oft schwierigen, immer und überall im Land aber vielfätigen Lebenswirklichkeit in der Ukraine wenig zu tun. Oder anders ausgedrückt: Es sind nicht mehr als statistische Mittelwerte, die nach dem willkürlichen Kriterium der «Nationalität» (wie ethnischen Zugehörigkeit oder Zuordnung auf Russisch genannt wird) ermittelt wurden.

Niegendwo in der Ukraine geht es um Ost gegen West, um ukrainisch gegen russisch, um reich gegen arm, um recht gegen links, um nationalistisch gegen, ja gegen was eigentlich? Viele UkrainerInnen würden wohl antworten «patriotisch». Die große Frage ist aber eben, was diese Patria ist. Vielleicht die besten Beschreibungen dafür habe ich in diesen Wochen bei Anna Veronika Wendland gelesen. Zu dieser Frage schreibt sie, es darum «ob man eine neue Ukraine als über-ethnische Idee einer europäischen und demokratischen Staatsbürgernation gegen den enormen Druck von innen und außen verteidigen kann“. Doch lesenswert ist der gesamte Artikel.

Es geht auch um ein Russland, das den Verlust des Imperiums mit eine nationalistischen Radikalisierung unter dem Deckmantel einer imperialen Idee zu kompensieren versucht. Das ist geschichtlich in Europa ebenso wenig neu wie die Selbststilisierung als „Retter Europas“ oder des „christichen Abendlandes“.

Just zu Ostern hat Boris Meschujew, ein durchaus angesehener Journalist, heute stellvertretender Chefredakteur der Iswestija, einer der Frontzeitungen für des Kremls neuen Kampf mit dem dekadenten Westen, einen Artikel veröffentlicht, der wie ein kleines Stück philosophischer Überbau dieses „Rettungsanpruchs“ wirkt:

„Die russische Welt, über die der Präsident [Putin, JS] am Ende seines Fernsehinterviews gesprochen hat, ist eine Gemeinschaft von Menschen unterschiedlicher ethnischer Abstammung, die Russisch sprechen und in unterschiedlichen Regionen der Welt leben. Menschen mit einem besonderen genetischen Code, Menschen die den Tod nicht fürchten und unsinniges materielles Wohlergehen verachten. Diese Welt ist in der Lage, dem heutigen Europa etwas zu geben, was ihm offensichtlich fehlt. Es geht um den Mut, sich einem äußeren und kulturellen Diktat nicht zu unterwerfen… Putin feiert die triumphale Rückkehr unseres States in die europäische Zivilisation, nicht als ungebetener Gast, sondern in gewissem Sinn als ihr kommender Befreier.“

So phantasmagorisch diese Sentenz in ihrer Weltverrücktheit klingt, gehört sie im großen russischen Medienstrom dieser Tage doch schon zu den rationaleren. Ich kann da nur sagen: Dann auch vielen Dank für diese Freiheit!

Doch die kollektive Selbstberauschung in Russland ist eine Sache. Was daran und warum in der Ostukraine (und wohl nur dort) attraktiv ist, ist eine andere. Bevor ich jetzt, am Ostersonntag anfange, das schön in Punkten 1,2,3,4 darzulegen, verweise ich lieber auf eine schöne Reportage von Julia Smirnowa in der «Welt» von heute. Es ist so divers. Es ist so schwierig. Es wird uns noch lange beschäftigen.