Parteienschwemme in Russland – Beispiel einer Spoilerpartei

Vor rund einem Jahr hat der Kreml, damals noch unter Medwedjew, als Teil der Reaktionen auf die Proteste gegen die Wahlfälschungen bei der Dumawahl am 4. Dezember 2011 das Parteiengesetz liberalisiert. Die Bildung neuer Parteien wurde erheblich erleichtert. Als wichtigste Änderung müssen seither nicht mehr 45.000, sondern nur noch 500 Mitglieder nachgewiesen werden. Das schafft jeder.

Die Opposition blieb skeptisch. Es herrschte die Befürchtung, nun würden, nicht ohne Zutun des Kremls, Parteien wie Pilze aus dem Boden schießen. Die Rede vom Parteientrolling machte schnell die Runde. Sehr zu Recht, wie sich inzwischen gezeigt hat. Heute (Stand: 17.1.2013) weist die Website des russischen Justizministeriums 55 politische Parteien aus. Vor der Gesetzesänderung waren es 8. Unter den Neuen sind eine Partei „Gegen Alle“, eine Partei der „In der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Geborenen“ oder die Partei „KLUGES RUSSLAND“ (Großbuchstaben im Originalnamen).

Noch viel zahlreicher mit 208 sind die Parteigründungsinitiativen. Darunter zwei weitere mit dem Namen „Gegen alle“, eine „Heilige Rus“ und auch die Politische Partei „Pflanz Deinen Baum“, die ein Namensvetter von Premierminister Dmitrij Anatoljewitsch Medwejew vertritt. Das Sektiererische, Absurde und Lustige dieser Entwicklung ist offensichtlich. Ganz ohne Ernst ist sie trotzdem nicht. Das gilt vor allem für jene Parteien und Parteiinitiativen, die im russischen Diskurs mit dem schönen englischen Wort „Spoiler“ bedacht werden. Dabei geht es nicht um eine bessere Bodenhaftung bei Kurvenfahrten, sondern ums Spielverderben. „Spoilerparteien“ sind Parteien, die anderen Parteien ähnlicher politischer Ausrichtung und ähnlichen Namens das Leben schwer machen sollen. Um solch eine „Spoilerpartei“ soll es hier exemplarisch gehen, und weil ich mich da am besten auskenne, um eine, die sich „grün“ nennt.

Es dürft kaum verwundern, dass sich unter den 55 plus 208 Parteien und Parteinitiativen auch einige grün geben. Insgesamt sind das fünf:

  • Zum Schutz der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger auf eine lebenswerte Umwelt „Grüne Alternative“
  • Allrussische Politische Partei „Russische demokratische Partei ‚Die Grünen’“
  • Politische Partei „Ökologische Partei“
  • Politische Partei „Grüne Legion“
  • Politische Partei des Kosakenvolkes Politische Partei «Russische Sozial-Ökologische Macht»

Keine Davon ist eine grüne Partei, inhaltlich vergleichbar den deutschen Bündnis 90/Die Grünen oder anderen in der Europäischen Grünen Partei (EGP) vereinigten Parteien.  Sie sind das schon deshalb nicht, weil es eigentlich keine Parteien in Russland im Sinne einer ideelich-politischen Interessensvertretung gibt (vielleicht immer noch mit Ausnahme der Kommunistischen Partei). Die einzige politische Vereinigung, soweit ich das beurteilen kann (und ich kann, glaube ich), die gegenwärtig in Russland eine Annäherung an eine grüne Partei darstellt, ist das «Grüne Russland» mit seinem Vorsitzenden Alexej Jablokow, einem im wahrsten Sinne des Wortes alt gedienten Ökologen. Das Grüne Russland hatte Mitte der 2000er Jahre versucht, eine Partei zu werden, war aber an den damals noch herrschenden diskriminitierenden Bestimmungen des Parteiengesetzes gescheitert. Daraufhin war ein Teil der Parteigründungsinitiative als Fraktion mit eigenem Statut bei der Partei «Jabloko» untergekrochen. Die Zusammenarbeit funktioniert bis heute so gut, dass sich «Jabloko» vorigen Sommer in «Jabloko/Grünes Russland» umbenannt hat.

Doch zurück zu den Spoilerparteien. Unter den sich „grün“ nennenden Parteien sind mehrere. Die „Russische demokratische Partei ‚Die Grünen’“ ist aus einer Partei namens „KEDR“ (russisch für „Zeder“) hervor gegangen. KEDR wurde in der ersten Hälfte der 1990er Jahre gegründet und wäre, wenn es Schirinowskij mit seiner LDPR nicht gäbe, die Ur-Spoilerpartei. KEDR sollte bereits bei den Parlamentswahlen im Dezember 1995 (also in tiefster Jelzinzeit) Jabloko Stimmen abjagen. Das gelang zwar nur im Einprozentbereich. Aber um nicht viel mehr geht es beim Spoilen. Für Parteien, die an der Sieben-Prozenthürde zu scheitern drohen zählt jede Stimme. Seither taucht KEDR, die von Leuten aus dem ehemaligen staatlichen Seuchen- und Hygieneamt gegründet worden war, regelmäßig während der Legislaturperiode unter und kurz vor den nächsten Wahlen wieder auf. Ein offenbar erfolgreiches Businessmodell, dass Geld und in der Zwischenzeit sicher Schutz für andere Geschäfte einbringt.

Neu in diesem Geschäft ist die Partei „Grüne Alternative“. Aber nur die Partei, nicht ihr Spiritus Rector Oleg Mitwol. Seine, zugegebenermaßen selektive, Biographie soll als Beispiel für derartige Karrieren dienen, von denen es sehr viele in Russland gibt.

Oleg Mitwol (geboren 1966) ist in den 1990er Jahren mit verschiedenen Geschäften, darunter im Bankensektor, wohlhabend, aber nach russischen Maßstäben nicht wirklich reich geworden. Seine öffentliche Karriere begann 1997 als er Geldgeber (ob mit eigenem Geld oder als Strohmann ist nicht klar) für die neue Tageszeitung „Nowije Istwestija“ wurde, die von einem Teil der rausgeworfenen Redaktion der „Iswestija“ neu gegründet wurde (ein in den 1990er Jahren nicht selten anzutreffender Konflikt, oft ging es dabei nicht um die Zeitungen, sondern um deren aus der Sojewtzeit oft großen und zentral gelegenen Liegenschaften). 2003 löste Mitwol den liberalen Chefredakteur Irgor Golembiowskij von „Nowoje Wremja“ ab.

Auch damit bot er sich dem Kreml an und wurde im Frühjahr 2004 zum stellvertretenden Leiter des „Föderalen Dienstes zur Aufsicht über die Naturnutzung“ (Rosprirodnadsor) ernannt. Dieser Dienst war das erbärmliche Überbleibsel des Mitte der 1990er Jahre gegründeten Umweltministeriums, das in den Putin-Anfangsjahren schnell abgewickelt worden war. In  seiner neuen Position ging Mitwol sehr öffentlichkeitswirksam gegen illegale Datschenbauten (Datscha heißt hier: Villa) in Naturschutzgebieten rund um Moskau vor. Das aller verlief sich im Nichts, wohl auch, weil man sich finanziell geeinigt hatte. Schon damals wurde der Verdacht geäußert, Mitwols Vorgehen sei nur eine neue Form des sogenannten „Rackets“, bei dem staatliche Stellen Druck auf Unternehmer, Besitzer oder andere ausüben, um dann gegen Schmiergeldzahlungen von ihrem Vorgehen abzulassen.

Der nächste spektakuläre Fall Mitwols war die Villa des 2004 entlassenen und zum Oppositionellen gewordenen Ministerpräsidenten Michail Kasjanow. Such jier lautete der Vorwurf, sie sei illegal in einem Naturschutzgebiet innerhalb Moskaus gebaut worden. Wochenlang blieb der Fall ein beliebtes Thema in den staatlichen Medien.

2006 untersuchte Mitwol dann Umweltverfehlungen von Shell beim Aufbringen des Ölfelds Sachalin-2 im Pazifik. Sein Vorgehen war Teil einer Kampagne von Gasprom, Shell aus dem Projekt zu treiben und es selbst zu übernehmen. Mitwols „Ermittlungen“ verliefen nach Shells verkauf an Gasprom buchstäblich im Sande. 2009 wurde Mitwol von Rosprirodnadsor entlassen, hatte sich aber in einer breiten, wenig genau informierten Öffentlichkeit einen Namen als „Naturschützer“ gemacht.

2009 versuchte Mitwol, mit seinem Geld (und weiteren Geldgebern im Hintergrund) die Partei Jabloko zu übernehmen. Das misslang freundlich und feindlich. Daraufhin gründete Mitwol eine eigenen „Bewegung“ (das ist eine in der russischen Gesetzgebung vorgesehene Organisationsform) mit dem Namen „Zum Schutz der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger auf eine lebenswerte Umwelt ‚Grüne Alternative‘“. Zuvor hatte er vergeblich noch versucht bei einem anderen grünen Netzwerk, der „Zivilgesellschaftlichen Vereinigten Grünen Alternative“ (GROZA) einzusteigen.

Von Juli 2009 arbeitete Mitwol als Präfekt (so eine Art ernannter Bezirksbürgermeister ) eines Bezirks in Moskau, noch unter Bürgermeister Jurij Luschkow. Während dieser Zeit gab es eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Kremljugend „Naschi“ über einen von ihnen als Büro genutzten Kindergarten, die Mitwol als Opposition zum Kreml auszugeben versuchte, aber wohl eher etwas mit dem Verhältnis seines Chefs Luschkow mit dem damaligen Präsidenten Medwedjew zu tun hatte. Mitwol wurde dann auch im Oktober 2010, kurz nach Luschkow, als Präfekt abgelöst.

Nachdem im vorigen Jahr das Parteiengesetz liberalisiert worden war, begann Mitwol sofort seine „Bewegung“ in eine „Partei“ umzuwandeln. Sein wichtigster Partner dort ist Gleb Fetisow, der von Forbes Russia unter die 100 reichsten Russen mit einem Vermögen von mehr als 1 Milliarde US-Dollar gezählt wird. Fetisow war unter Putin 9 Jahre Senator (Mitglied des Parlamentsoberhauses) und bis 2011 in der Führung der Kremlpartei Einiges Russland (ER). Bei den Bürgermeisterwahlen im vorigen Jahr in Kaliningrad unterstützte Fetisow den Kandidaten von ER.

Mitwol kandidierte im vergangenen September zu den Bürgermeisterwahlen in Chimki bei Moskau, wo es eine große, bekannte Protestbewegung gegen den Bau einer Autobahn durch einen Naherholungswald gibt. Mitwol kandidierte damit auch gegen Jewgenija Tschirikowa, die Führungsfigur dieser Protestbewegung und Mitglied im im September 2012 per Internetabstimmung gewählten Koordinationsrats der Opposition. Im Resultat gewann der Kandidat von Einiges Russland.

Seit vergangenem Herbst nun versucht Mitwol internationale Echtheitweihen für das Grpnsein seiner Partei zu erlangen. Er tauchte auf einem Kongress der Europäischen Grüne Partei (EGP) auf, der u.a. auch die deutschen Grünen angehören. Offenbar strebt er eine Mitgliedschaft seiner Partei in der EGP an. Jedenfalls verbreitete er kurz darauf eine Presseerklärung über den Beitritt seiner Partei zur „Fraktion Grüne/EFA im Europaparlament“. Im russischsprachigen Wikipedia-Eintrag zur Mitwol-Partei steht u.a., dass sie „Mitglied der EGP“ sei. Das ist natürlich doppelter Unsinn. Ins Europaparlament wird man gewählt und zwar nur innerhalb der EU. Und die EGP hat Mitwol nicht aufgenommen, wird sich damit aber wohl bald mit einem entsprechenden Antrag beschäftigen müssen.

Mitwol ist ein typischer „Polit-Unternehmer“, von denen es viele gibt in Russland, wenn auch wenige mit derart großem Öffentlichkeitstalent. Mit „Grün“ hat das nichts zu tun. Mit „Partei“ auch nicht.  Es ist aber von vielerlei (Eigen-)Nutzen und Nutzen für den Kreml: Es bringt, gut gemacht Geld. Es verwirrt die WählerInnen. Und es bestätigt die Behauptung des Kremls, Politik außerhalb seiner Mauern sei ein Hampelzirkus.