NGO-Agentengesetz – kleine Zwischenmeldung

Vor rund zwei Monaten hat Präsident Putin das sagenannte NGO-Agentengesetz unterzeichnet. Sobald es am 21. November in Kraft tritt, müssen sich viele russische NGOs entscheiden, ob sie sich beim Justizministerium als „die Funktion eines ausländischen Agenten ausübend“ registrieren lassen. Dazu sind sie verpflichtet, wenn sie sich „politisch“ betätigen oder „Einfluss auf die Öffentlichkeit“ oder das „Handeln des Staates“ zu nehmen versuchen. Ausnahmen gelten für NGOs, die von staatlichen Institutionen oder von in Staatsbesitz befindlichen „Korporationen“ (eine russische Besonderheit von Unternehmen, die juristisch privatwirtschaftlich sind, aber gleichzeitlich als Monopolisten zahlreichen Vorschriften nicht unterliegen). Ebenfalls  ausgenommen sind Religionsgemeinschaften und NGOs, die sich mit einer Reihe von “wohltätigen“ (das nächstliegende deutsche Wort ist „charitativ“) Themen beschäftigen, darunter Gesundheitsvorsorge, Schutz der Tier- und Pflanzenwelt, aber auch wissenschaftliche Tätigkeiten.

Wer das alles eher unklar findet, steht nicht allein. Seit das Gesetz verabschiedet wurde, läuft die Diskussion darüber, welche NGOs sich denn nun als „Agenten“ beim Justizministerium melden müssen (zur zweiten Diskussion, ob sie das dann auch machen werden, komme ich weiter unten). Beamte des Justizministeriums haben nun die Aufgabe, Durchführungsbestimmungen zu verfassen. Die erste große Hürde ist der Begriff „politisch“. Er wird in keinem russischen Gesetz, nicht einmal im Parteiengesetz, definiert. Das Justizministerium hat daher zwei politologische Gutachten bestellt, eines bei der eher liberalen Staatlichen Moskauer Hochschule für Wirtschaft und eines bei der Akademie für den Staatsdienst, die Beamte ausbildet. Was dabei heraus kommt und wie das in die Durchführungsbestimmungen eingearbeitet wird ist unklar. Klar ist aber, dass diese Frage auch weiter ein breites Auslegungsfeld für die BeamtInnen zurücklassen wird.

So oder so müssen die Durchführungsbestimmungen vor ihrem Inkrafttreten zwei Wochen lang öffentlich und im Internet diskutiert werden, wie es seit kurzem für alle Gesetze vorgeschrieben ist. Eine Medwedjewsche Hinterlassenschaft.  Aller Voraussicht nach wird das erst Ende November/Anfang Dezember gelingen, das Gesetz also wohl kaum vor Anfang nächsten Jahres anfangen zu wirken. Dann müssen sich die NGOs, die sich „politisch“ im Sinne des Gesetzes betätigen“, freiwillig beim Justizministerium melden.

Die schärfste Waffe des Justizministerums ist sein Recht, die Tätigkeit einer NGO für bis zu sechs Monate auszusetzen,  wenn es der Meinung ist, die NGO arbeite „politisch“, lasse sich aber nicht als „Agent“ registrieren. Ob und wie diese Möglichkeit angewandt werden wird, ist bisher unklar. Immerhin ließ das Ministerium in den Konsultationen durchblicken, dass NGOs nur nach einem Gerichtsbeschluss „geschlossen“, also verboten würde.

Hier nun ein kleines Rechenexempel. Nach Angaben des Justizministeriums bekamen 2011 rund 1.000 NGOs Geld aus dem Ausland. Das ist nicht wirklich viel. Nach Schätzungen von NGO-VertreterInnen arbeiten rund 700 von ihnen in den Themenbereichen, die vom Gesetz von der Registrierungspflicht als „Agenten“ ausgenommen worden sind. Bleiben also rund 300 potentielle „Agenten“. Allerdings ist auch die Zahl 700 eher unsicher. Das liegt an der Rigorosität des Gesetzes. Nehmen wir an, eine NGO bekommt Geld aus dem Ausland, um sich um Waisenkinder zu kümmern und macht das auch zur allgemeinen, also auch der staatlichen Stellen Zufriedenheit. Die gleiche NGO macht aber Lobbyarbeit für eine bessere Ausstattung der Jugendämter in Russland und bekommt dafür Geld von einem russischen Sponsor oder dem russischen Staat. Trotzdem die möglicherweise als „politisch“ im Sinne des Gesetzes einzustufende Arbeit aus dem Inland finanziert wird, das ausländische Geld dagegen ausschließlich für charitative Zwecke eingesetzt wird, muss sich die NGO als „Agentin“ registrieren lassen. Gerade hier lässt das sonst sehr unscharf formulierte Gesetz keinen Interpretationsspielraum.

Wie werden nun die NGOs reagieren? Das Justizministerium sagt, es bekomme bereits zahlreiche Anfragen von NGOs, ob diese nun „politisch“ seien und sich melden müssten oder nicht . Das Ministerium ist mit diesen Anfragen nicht recht glücklich.  Denn selbst eine heute verneinende Antwort darf die fragende NGO nicht in Sicherheit wiegen und hat keinerlei juristische Wirkung. Denn das Gesetz verpflichtet auch diejenigen NGOs, sich zu „Agenten“ zu machen, die das erst noch vorhaben. Allein der künftige Wille reicht schon aus.

Meine eigenen Gespräche mit NGO-VertreterInnen und auch Unterhaltungen mit VertreterInnen anderer  ausländischer Geberorganisationen lassen mich allerdings eher vermuten, dass nur sehr wenige NGOs von sich aus zum Justizministerium gehen werden. Einer der wichtigsten und meistgenannten Gründe dafür ist ein zutiefst ethischer: Die Selbstmeldung als „Agent“ wäre eine Lüge. Sie wäre die Anerkennung, dass die eigene Arbeit im Auftrag und gegen Bezahlung aus dem Ausland getan würde. Dahinter steht auch die Empörung, dass der russische Staat die Menschen zwingen will, ihm gegenüber über sich selbst die Unwahrheit zu sagen. Das ist einer der neostalinistischen Züge des  Gesetzes. In den Stalinschen Schauprozessen wurden die Angeklagten immer wieder gezwungen teils phantastische Anschuldigungen ausführlich, öffentlich  und natürlich gelogen zu gestehen.  Es ist also sehr wahrscheinlich, dass ab Januar nächsten Jahres das Justizministerium bei einer ganzen Reihe von NGOs mit der Aufforderung vorstellig wird, sich als „Agenten“ registrieren zu lassen. Nach der allfälligen Weigerung dürfte es  zu vorläufigen Schließungen und Gerichtsverfahren kommen.

Wie weit die Repression gehen wird, wie viele und wie bekannte NGOs geschlossen werden, ist gegenwärtig kaum zu sagen. Das dürfte von mehreren Faktoren abhängen. Einer davon werden die Durchführungsbestimmungen sein.  Entscheiden wird aber wohl die politische Situation zum Jahreswechsel und die politische Opportunität, denn Gesetze sind in Russland in erster Linie oft politische Instrumente, dieses schon gar. Es kann als einigermaßen glimpflich abgehen oder auch nicht. Das NGO-Gesetz von 2006 zum Beispiel wurde, nach einer Abkühlungsphase, weit weniger streng angewandt als zuvor befürchtet. Eine Garantie gibt es dafür aber nicht.


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