Erst DemonstrantInnen, nun NGOs?

Nach dem Demonstrationsgesetz könnte nun auch das russische NGO-Gesetz erheblich verschärft werden. Alexander Sidjakin, Abgeordneter der Kremlpartei Einiges Russland, hat zusammen mit Kollegen einen Gesetzentwurf in die Staatsduma eingebracht, gemäß dem NGOs, die „Geld aus dem Ausland“ erhalten künftig erheblich strenger kontrolliert werden. Zudem sollen sie in einem speziellen staatlichen Register zusammen gefasst und   künftig als „die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllend“ gekennzeichnet. Auf einer eigens eingerichteten Website namens „Unter Kontrolle“ erklären die Autoren der Gesetzesinitiative, gegen „unser Land“ werde „ein unerklärter Informationskrieg“ geführt. Angeblich haben bis zum 1. Juli schon mehr als 90.000 Menschen in verschiedenen sozialen Netzwerken die Initiative unterstützt.

Welche Chancen diese Gesetzesinitiative hat, ist gegenwärtig noch schwer einzuschätzen. Allerdings war Sidjakin einer der Autoren des neuen Demonstrationsrechts, das kürzlich im Schnellverfahren angenommen wurde und das Demonstrationsrecht erheblich einschränkt.

Der NGO-Gesetzentwurf sieht nun, neben der Neuregistrierung, vor, die Rechnungslegungspflicht von NGOs zu verstärken, die Geld aus dem Ausland für ihre Arbeit bekommen. Sie sollen sich einer alljährlichen Prüfung durch die Behörden unterziehen und halbjährlich Rechnung über die Verwendung der erhaltenen Gelder ablegen. Zudem werden die Strafen für Verletzungen der Vorschriften drastisch erhöht. Bis zu 300.000 Rubel Bußgeld (rund 7.500 Euro) sollen bei Nichteinreichen von geforderten Berichten künftig fällig werden. Erstmals soll auch eine Strafrechtliche Verantwortung der Organisationsleitungen für die Nichteinhaltung der Registrierungsvorschriften eingeführt und mit bis zu vier Jahren Haftstrafe bewehrt werden. Publikationen von NGOs mit ausländischer Finanzierung sollen in Zukunft zwangsweise mit dem Hinweis versehen werden, dass die veröffentlichende NGO „die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllt“. Das gilt sowohl für Veröffentlichungen in Massenmedien als auch im Internet. Unklar ist, wie mit mündlichen Äußerungen von NGO-VertreterInnen umgegangen werden soll.

Wie fast immer in solchen Fällen, argumentieren die Gesetzesinitiatoren damit, dass ausländischer Einfluss, wie er in Russland angeblich durch die Finanzierung von NGO-Projekten ausgeübt wird, nur deshalb so leicht möglich sei, weil das Land so gutmütig sei und seine Gesetzgebung hinter der anderer Staaten wie „den USA, der Europäischen Union, Frankreich und Israel und Venezuela“ zurück bleibe. Diese Lücke müsse geschlossen werden, um die „vielen Milliarden“ (gemeint sind US-Dollar, keine Rubel), die aus dem Ausland kommen, um „die Einheit unseres Landes und die Stabilität des politischen Systems zu untergraben, um das friedliche Leben der Bürger zu zerstören.“

Auf den ersten Blick ist das Vorhaben vor allem gegen US-amerikanische Geberorganisationen und Stiftungen gerichtet. Namentlich genannt werden die US-Entwicklungsorganisation USAID, das International Republican Institute (IRI), das National Democratic Institute (NDI), das National Endowment for Democracy (NED), die Soros Foundation, die McArthur Foundation und die Ford Foundation, die sich aber im Zuge der Finanzkrise schon 2010 völlig aus Russland zurückgezogen hat. Solche Fingerfehler und das Fehlen des größten ausländischen NGO-Geldgebers, der EU, deuten darauf hin, dass es wohl vor allem um viel Lärm und weniger um wirkliche Kontrolle geht. Zudem gehen nach Expertenschätzungen nicht mehr als 10 Prozent der ausländischen NGO-Gelder an die von den Gesetzesautoren als „politisch“ gebrandmarkte NGOs, vor allem aus dem Menschenrechtsbereich. Der weitaus größte Teil geht an Organisationen, die sich um soziale Fragen, Gesundheitsvorsorge (z.B. Aids-Bekämpfung) und Bildung kümmern.  Oft sind die Emüfängerorganisationen mit staatlichen Stellen oder staatlichen und kommunalen Einrichtungen verbunden. Daher dürfte aus dieser Richtung mit zumindest hinhaltendem Wuiderstand zu rechnen sein.

Als Beispiel gegen den russischen Staat gerichtete Tätigkeit werden auf der Website die unabhängigen WahlbeobachterInnen von Golos hervorgehoben, deren Arbeit tatsächlich weitgehend aus dem Ausland finanziert wird, vornehmlich aus US-amerikanischen Quellen. Aber auch die Heinrich Böll Stiftung arbeitet mit Golos zusammen. Zu den Dumawahlen im vorigen Dezember und den Präsidentenwahlen im März dieses Jahres haben wir gemeinsam mit dem Europäischen Austausch und den Russlandanalysen geholfen, die Ergebnisse der Wahlbeobachtung von Golos auch auf Deutsch und aus Englisch zu verbreiten.

Die Gesetzesinitiative folgt letztlich der gleichen Logik, wie das erst 2006 verschärfte NGO-Gesetz. Damals war es vor allen Dingen die (wohl eher unbegründete) Befürchtung an der Staatsspitze, russische NGOs könnte in Russland eine ähnliche Rolle spielen wie NGOs in der Ukraine („Orangene Revolution“), in Georgien oder in Serbien. Schon Wladimir Putin, damals noch Premierminister, hatte im Parlamentswahlkampf im vergangenen Herbst und dann wieder im Präsidentenwahlkampf vor ausländischer Finanzierung russischer NGO gewarnt. Anfang Februar 2012 hatte es in Moskau parallel zu einer der Anti-Putin-Großdemonstrationen eine „Antiorangene Demonstration“ von Putin-Anhängern gegeben.