Prochorows Missverständnis – kein Mandat, sondern Auftrag

Wie soll man das verstehen? Da engagiert sich
ein Milliardär (der drittreichste Russe laut aktueller Forbes-Liste) ganz
offensichtlich mit Erlaubnis von oben (und das sind in Russland der Kreml und
das Weiße Haus) in einer zuvor halbtoten Partei, steckt viel Geld rein, tönt
groß rum, um dann schnöde von mediokren Funktionären aus „seiner“ Partei
geworfen zu werden. So geschehen jüngst Michail Prochorow und der Partei
„Rechte Sache“ (wobei das Wort „Rechte“, so wie es hier im Russischen klingt,
sowohl für „rechts“ als auch für „richtig“ stehen kann). Wie also kann ein
harter Bisnesmen so schnell und so gründlich auf den Bauch fallen?
 

Zuerst muss kurz darauf eingegangen werden,
warum der Kreml („Kreml“ bitte ich im Folgenden nicht als Ortsangabe oder
Chiffre für Präsident Medwedjew und seine Administration anzusehen, sondern für
die gesamte Black Box, die man als putinsch-medwedjewsche Herrschaftsgruppe
umschreiben könnte) oder einer seiner Teilgruppen diese Partei „Rechte Sache“ überhaupt
höher heben wollte.
 

Die Sache begann schon Anfang des Jahres,
damals noch ohne Prochorow. Vor ihm hatten es mit Finanzminister Alexej Kudrin
und Medwedjew- Wirtschaftsberater Arkadij Dworkowitsch bereits zwei
hochgestellte, allgemein als „liberal“ betrachtete Mitglieder der
Herrschaftselite abgelehnt, der „Rechten Sache“ neuen Atem einzuhauchen. Das
Wahljahr hatte begonnen und der Kreml machte sich auf die Suche nach der
machterhaltungsoptimalen Zusammensetzung des nächsten Parlaments. Das ist keine
ganz einfache Aufgabe, da mehrere, einander mitunter widersprechende Ziel unter
einen Hut zu bringen sind.
 

Zuallererst geht es immer darum, möglichst
lange möglichst viele Optionen zu haben. Also wurde auch die vor der letzten
Wahl geschaffene, dann aber wieder auf Eis gelegte und nicht in die Duma
gelassene „Rechte Sache“ aufgetaut. Auch ein gelenktes Parlament soll ja wenigstens
wie ein Richtiges aussehen, also braucht es auch Opposition, am besten so, dass
sich möglichst viele BürgerInnen darin wieder finden können (und der Westen
möglicherweise gleich mitgetäuscht werden kann).
 

Außerdem gibt es noch immer die
Modernisierung, die nicht voran kommt. Potentielle Wählerinnen und Wähler eine sich
liberal gebenden Partei wie der „Rechten Sache“ gelten, soziologisch gesprochen,
als Angehörige der innovativsten und mobilsten Schichten der Bevölkerung. Ohne
sie, so sagen und schreiben (fast) alle Politikberater, werde das mit der
Modernisierung schwierig.  

Und wenn man
sich dann doch noch anders entscheidet und nur wenige Prozentpunkte
herauskommen, dann hat die „Rechte Sache“ aus Kremlsicht wenigstens gezeigt,
dass auch liberale Parteien antreten dürfen, aber eben vom Volk nicht gewählt
werden. Viele Russen mögen eben die Liberalen nicht. So einfach ist das.
 

Doch zurück zu Prochorow. Mag sein, und in
einigen Kommentaren wurde das damals auch so geschrieben, dass Kudrin und
Dworkowitsch, als sie den Parteivorsitz und die Politkarriere ablehnten, das
Risiko gescheut haben, ihre vergleichweise warmen Beamtensessel mit einem
Schleudersitz in der gelenkten Parteienlandschaft zu tauschen. Prochorow hat
als Unternehmer einen anderen Hintergrund, vielleicht aber auch weniger
Erfahrung, was Politik heute in Russland heißt.
 
 
 

Wie dem auch sei, er nahm das Angebot an und
wähnte sich offenbar mit einem Mandat von ganz, ganz oben ausgestattet, so
etwas wie eine liberale Partei auf- bzw. umzubauen. Das lässt sich jedenfalls
aus dem alphatiermäßigen Auftritten schließen, die er danach hinlegte. Und das
dürfte schon das erste, möglicherweise sogar entscheidende Missverständnis
gewesen sein. Denn in der putinschen „gelenkten Demokratie“ bekommt man keine
Mandate, sondern Aufträge. Und das ist etwas völlig anderes.
 

Mit Mandaten hat man Spielraum und die
Freiheit, die vereinbarten Ziele mit in eigener Regie gewählten Mitteln, wenn
auch innerhalb eines feststehenden Regelwerks zu erreichen. Ein Auftragnehmer
untersteht dagegen der direkten Kontrolle des Auftraggebers. Hinzu kommt im
besonderen russischen Fall, dass es kein feststehendes Regelwerk gibt, sondern
nur die von Surkow, dem Hauptpuppenspieler im Kreml, brutal-ehrlich so genannte
„Handsteuerung“. Sich da durchzufinden, erfordert also vor allem Erfahrung. Und
die hatte Prochorow deutlich nicht.
 

Aus dieser Konstellation lassen sich eine
ganze Reihe von „Fehlern“ erklären, die er wohl in den Augen seiner
Auftraggeber gemacht hat. Der erste, vielleicht sogar schon entscheidende war,
das ganze Land mit seinem Portrait auf riesigen und allgegenwärtigen Plakaten
vollzukleistern. Darauf versprach er, dass es von nun an anders werde, besser.
Der Parteiname „Rechte Sache“ fand keine Erwähnung. Das wirkte nicht wie
Wahlwerbung für Parlamentswahlen, eher schon für Parlamentswahlen. Und solche
Werbung ist nur den ersten Personen im Land gestattet.
 

Mit ein wenig historischem Wissen, hätte man das
voraussehen können. Es gab zu Stalinzeiten einmal einen nicht ganz so kleinen Parteisekretär
armenischer Herkunft namens Lewon Mirsojan. Der wurde zur Zeit des großen
Terrors aus dem Ural zum 1. Parteisekretär der großen Kasachischen SSR
befördert. Dieser Mirsojan nun ließ am 1. Mai 1938 mehr Portraits seiner selbst
durch die Straßen der kasachischen Hauptstadt Alma-Ata tragen als jene des
großen Führers in Moskau. Doch dessen Aufpasser zählten gut und genau. Wenige
Tage nur später wurde Mirsojan abgesetzt und verhaftet und Anfang 1939
hingerichtet.
 

Die Plakataktion war natürlich nicht der
einzige Fehler Prochorows, aber wohl sein öffentlich auffallendster. Andere
kamen hinzu. So beharrte er darauf, in Kaliningrad und in Jekaterinburg
örtliche Parteiführer zu installieren, die in der Vergangenheit nicht nur
kremlkritisch gewesen waren (so etwas ist durchaus verzeihlich), sondern sich
gegen kremltreue Strukturen in politischen Fragen öffentlich durchgesetzt
hatten.
 

Spätestens da dürfte Prochorows Schicksal als
Politiker im heutigen Russland entschieden gewesen sein. Es kam aber wohl noch
etwas hinzu. Medwedjew soll mit dem Gedanken gespielt haben, sich von der
„liberalen“ Partei „Gerechte Sache“ als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu
lassen. Dieses Vorrecht, Kandidaten für die Präsidentenwahlen vorzuschlagen,
haben nur im Parlament vertretene Parteien. Doch im Sommer hat er diesen Plan
offenbar aufgegeben. Wahrscheinlich wäre das zuviel der demonstrativen
Abwendung von Putin gewesen. Wenn er schon wieder Präsident werden möchte, was
er wohl will, dann wird er sich von „Einiges Russland“ vorschlagen lassen
müssen, (der Partei also, die Putin ihren Führer nennt, ohne dass der dort
Mitglied ist) damit auch allen klar bleibt von wessen Gnaden er Präsident ist. Nun
hat man aber erst einmal den Salat und wir wären damit wieder bei der fast
schon ewigen Putin-oder-Medwedjew-Frage. Doch das regelmäßige Update dazu lieber
beim nächsten Mal.  
   


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