"Nicht in unserem Namen" – Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Petersburger Dialogs kritisieren Lenkungsauschussvorsitzenden Lothar de Maiziere

Nicht
in unserem Namen

Erklärung zum Interview „Petersburger Dialog:
‚Nicht nur Öl und Gas'“ von Lothar de Maiziere, Co-Vorsitzender des
Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs

 

Deutsche Welle vom
15. Juli 2010 (http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5793515,00.html)

 

In seinem Interview stellt Lothar de Maiziere
einige Behauptungen auf, die uns sehr überrascht haben und die wir, die
unterzeichnenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer am diesjährigen 10.
Petersburger Dialog vom 13. bis 15. Juli in Jekaterinburg, richtig stellen
möchten.

 

Zu den Äußerungen im Einzelnen:

 

1. Auf die Frage des Interviewers, ob „auch
russische Menschenrechtler zum Petersburger Dialog eingeladen“ würden, antwortet
Lothar de Maiziere: „Memorial ist regelmäßig eingeladen. Es ist auch immer die
Menschenrechtsbeauftragte der russischen Regierung dabei (…). Nachdem Memorial
jahrelang gesagt hat, sie wollten dabei sein, sind sie jetzt seit Jahren dabei,
aber sie sind merkwürdig still und nicht sehr aktiv in der Arbeit“.

 

An dieser Aussage ist nur richtig, dass
Memorial seit dem 6. Petersburger Dialog 2006 in Dresden regelmäßig
eingeladen wird und teilnimmt. Die Initiative dazu ging von deutschen und
russischen Nichtregierungsorganisationen aus, die beklagt hatten, dass von
russischer Seite bis dahin keine unabhängigen NGO's zum Petersburger Dialog
eingeladen worden waren.

 

Ella Pamfilowa, von Herrn de Maiziere als „Menschenrechtsbeauftragte
der russischen Regierung“ tituliert, ist Vorsitzende des „Rats zur Beteiligung
an der Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte beim
Präsidenten der Russischen Föderation“. Diesem Rat gehören zahlreiche
angesehene NGO-Vertreter an, darunter auch Mitglieder des Vorstands von
Memorial. Ella Pamfilowa leitet gemeinsam mit Ernst-Jörg von Studnitz die
Arbeitsgruppe „Zivilgesellschaft“ des Petersburger Dialogs. Frau Pamfilowa war
es, die Memorial um Mitarbeit gebeten hat, nachdem sie 2006
Arbeitsgruppenleiterin wurde. Eine Bitte, der Memorial bis heute mit großem
Engagement nachkommt.

 

Memorial-Vertreterinnen und -Vertreter nehmen seit
2006 nicht nur aktiv an den Jahrestagungen des Petersburger Dialogs teil. Auf
Initiative und unter Beteiligung von Memorial fanden zwischen diesen Tagungen
in Zusammenarbeit mit anderen deutschen und russischen Organisationen
zahlreiche Kolloquien, Seminare und Konferenzen u.a. zu Fragen der Aufarbeitung
der totalitären deutschen und russischen Geschichte und zum Problem der
Fremdenfeindlichkeit in beiden Ländern statt.

 

Es entbehrt deshalb jeder Grundlage, die
Repräsentanten von Memorial der Inaktivität zu bezichtigen. Noch bedenklicher:
eine solche Herabsetzung schadet der Arbeit von Memorial in Russland, die immer
noch – wie Herr de Maziere wohl weiß – unter unsicheren rechtlich-politischen
Bedingungen stattfindet.

 

2. Herr de Maiziere führt im Interview direkt
im Anschluss an die oben zitierte Passage weiter aus: „Sicher sind die
Menschenrechte ein Feld, das wichtig ist, aber wir denken auch, dass andere
Dinge wichtig sind. Wir werden zum Beispiel jetzt bei der Arbeitsgruppe
Zivilgesellschaft eine Untergruppe zu sozialen Fragen einrichten“.

Wir halten diese Entgegensetzung von „Menschenrechten“ und „sozialen Fragen“
zumindest für eine unglückliche Formulierung. Sie erinnert an ein Verständnis
von Menschenrechten, das wir für überwunden glaubten und gegen das wir auch im
Rahmen des Petersburger Dialogs antreten: Menschenrechte sind nicht teilbar.
Bürgerliche und politischen Menschenrechte einerseits und wirtschaftliche, soziale
und kulturelle Rechte lassen sich nicht gegeneinander ausspielen – sie bedingen
einander! Immer wieder müssen wir erleben, dass autoritäre Regime die
Unterdrückung politischer und bürgerlicher Menschenrechte mit dem Vorrang
sozialer Rechte begründen. Nicht selten werden – auch in der Russischen
Föderation – „gute“ NGOs, die sich um die Nöte der Menschen kümmern, solchen
gegenübergestellt, die sich den politischen Menschenrechten widmen und sich
damit – so der Vorwurf – mit finanzieller Unterstützung aus dem Ausland in die „inneren
Angelegenheiten“ des jeweiligen Staates einmischen. Einer solchen
Entgegensetzung sollte der Petersburger Dialog nicht Vorschub leisten.

 

Die AG Zivilgesellschaft des Petersburger
Dialogs hat ihren Schwerpunkt aus guten Gründen in Fragen der Bürgerrechte und
der politisch-rechtlichen Rahmen­bedingungen für zivilgesellschaftliche Akteure,
einschließlich der Visumspolitik. Dabei sollte es auch bleiben.

 

 

Sabine Adler, Deutschlandradio, Berlin

Marieluise Beck,
MdB, Bremen

Peter Franck,
Amnesty International

Ralf Fücks,
Heinrich Böll Stiftung, Berlin

Harald Leibrecht, MdB, Berlin

Stefan Melle, Deutsch-Russischer Austausch, Berlin

Ralf Possekel, Berlin

Hans-Henning
Schröder, SWP, Berlin

Jens Siegert,
Heinrich Böll Stiftung, Moskau

Hans-Joachim
Spanger, HSFK, Frankfurt/Main

Klaus Wehmeier,
Körber-Stiftung, Hamburg

Ute Weinmann, Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Moskau

Eva Wiesenecker, Brot für die Welt, Stuttgart