Familienkapitalismus in Russland – Töchter und Söhne machen Unternehmerkarriere

Einer der erfolgreichsten Unternehmer St. Petersburg der vergangenen Jahre heißt Sergej Matwijenko. Der 37-Jährige ist unter anderem Vizepräsident der staatlichen Außenhandelsbank (Vneshtorgbank) und hat in seinen jungen jahren schon eine veritable Bankerkarriere hinter sich. Besonders stolz auf ihren Spross ist selbstverständlich die Mutter. Sie heißt Walentina Matwijenko und ist Gouverneurin der Stadt.

Anastassija Tkatschenko ist mit 22 Jahren natürlicherweise noch am Beginn ihrer Businesskarriere. Doch auch die Wirtschaftsstudentin aus dem südrussischen Krasnodar hat schon einiges vorzuweisen. Sie ist Mitbesitzerin von zwei Röhrenfabriken, einer Develomentfirma und kontrolliert dazu noch mehrere Hühnerfarmen, die ein Drittel der Hähnchen in Südrussland produzieren, wie die angesehene Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ schreibt. Das alles schafft sie, wie gesagt, neben dem Studium. Anastassija Tkatschenko ist selbstverständlich auch nicht ohne gute politische Verbindungen. Ihr Vater Alexej ist Abgeordneter der Staatsduma (Mitglied der Fraktion der Kremlpartei „Einiges Russland“, versteht sich). Onkel Alexander ist Gouverneur des Gebiets Krasnodar (das ist dort, wo auch die Olympischen Winterspiele 2014 stattfinden werden.

Das sind nur zwei von ganz, ganz vielen Beispielen (und nicht einmal die prominentesten oder geldhaltigsten), wie der moderne russische Familienkapitalismus funktioniert. Wer sicher erfolgreich und sehr erfolgreich sein will, für den sind direkte, am besten familiäre Bande zu staatlichen Funktionsträgern fast immer sehr nützlich, oft sogar unabdingbar. Umgekehrt gelten öffentliche Ämter oder auch Beamtenpositionen als Lizenz zum Geldmachen. Dieses Verhältnis zum öffentlichen Eigentum, zu dem, was eigentlich dem Staat gehört und zum Wohle aller verwaltet werden sollte, wird durch die von Putin aufgebaute sogenannte „Vertikale der Macht“ ergänzt. Denn diese „Vertikale der Macht“ ist der Gegensatz zur vor zehn Jahren ebenfalls von Putin geforderten „Diktatur des Rechts“: „Vertikale der Macht“ heißt im heutigen russischen Verständnis nichts anderes als „Macht vor Gesetz“.

Eine andere Variante, eine andere Ausformung dessen, was im kapitalistischen russischen Neusprech „Bisnesplan“ genannt wird, ist die Beteiligung von Angehörigen der sogenannten „Rechtsschutzorgane“ am Business. Der Neffe eines Polizeichefs oder die Cousine eines Staatsanwalts als Teilhaber im Geschäft können den Makel Normalsterblicher, die keine Verandte oder enge Freunde in hoher Stellung haben,  zumindest teilweise ausgleichen. Das gilt im Übrigen für alle Ebenen, beim Bundesstaat in Moskau ebenso wie in den Regionalverwaltungen oder auf der kommunalen Ebene.

Nun könnte man denken, das Familienunternehmen ja auch ain anderen Ländern eine Grundlage zu weiterer wirtschaftlicher Entwicklung gewesen sind. Südkorea gilt gegenwärtig in Moskau als beliebtestes Beispiel. Auch dort regierten lange Zeit unter der Diktatur Familienunternehmen und wuchsen, unter dem Patronat hoher Politker, zu veritablen Konzeren heran. Manche überstanden sogar den Übergang zur Demokratie. Viele ihrer Patrone allerdings, bis hin zu früheren Staatspräsidenten, wurden inzwischen wegen Korruption zu Haftstrafen verurteilt und haben sie auch absitzen müssen. Das wiederum ist keine so schöne Aussicht.

Doch auch das heutige russische System der Familienclans hat Nachteile. Der wichtigste ist, dass nicht nur der Zugang zu den Ressourcen mit dem Amtsposten verbunden ist, sondern ebenso die Sicherheit, für das auch nach russischen Gesetzen rechtswidrige Tun nicht haften zu müssen. Das zeigt das Beispiel eines anderen Sohns. Bis vor Kurzem ritt Ural Rachimow ganz oben auf dem Businesspferd seiner Heimatrepublik Baschkirien. Er kontrollierte die Ölindustrie der ölreichen Region. Forbes setzte ihn beim letzten Superreichenrating auf Platz 39 in Russland mit einem geschätzten Vermögen von 2,5 Milliarden US-Dollar. Vater Mutasar war seit Urzeiten, wie es schien praktisch lebenslang, Präsident von Baschkirien. Doch vorige Woche wurde der Papa von Präsident Medwedjew abgesetzt. Nicht ganz unerwartet offenbar, denn der wirtschaftlich so aktive und erfolgreiche Sohn hält sich vorsichtshalber schon seit einigen Wochen im (natürlich westlichen) Ausland auf.

Im Übrigen sind solche Abstiege nichts Neues. Wer erinnert sich schon noch an die Söhne von Rem Wjachirew und Viktor Tshernomyrdin? Kaum jemand, muss man heut doch auch die Väter vorstellen. Beide hatten mit Gas zu tun. Tschernomyrdin war Dauerpremierminister unter Präsident Bopris Jelzin in den 1990er Jahren. Davor hatte er das sowjetische Gasministerium durch die Perestroika gesteuert und 1989 in Gasprom umgewandelt. 1993 wurde Tschernoymrdin Premierminister und Wjachirew sein Nachfolger als Chef von Gasprom. Die Söhne beider machten Karriere im Gasgeschäft, vor allem mit dem Weiterverkauf von Gaspromgas. Dabei wurden sie, die Väter, ja die ganzen Familien reich. Dann kam Putin, Tschernomyrdin musste gehen und auch die Familienmitglieder mit ihnen. Da sie zur sogenannten „Familie“ von Präsident Jelzin gehörten, dürfte sich auch auf sie die legendäre Abmachung zwischen Jelzin und Putin erstreckt haben, die der Machtübergabe zum jahrtausendwechsel vorausging: Niemand aus der Famile wird strafrechtlich verfolgt und ihren Reichtum dürfen sie auch behalten. Behalten ja, aber mehren dürfte schwieriger geworden sein.

Und damit sind wir, siehe Rachimow, auch beim Problem der heutigen Familienunternehmen: Wie kommt man aus der Sache raus, ohne unter zu gehen? Dreck am Stecken haben alle. Korruption ist tragender Besatndteil des Businessmodells. Ebenso wie es nur funktioniert, weil und solange der Patron des Unternehmens (oder, seltener, die Patronin) auf seinem (ihrem) Posten sitzt. Manche sagen, deshalb habe Putin 2008 nicht gehen können. Das ganze System wäre ohne den Patron zusammen gebrochen. Solange man drin ist, heißt es zudem, in die Pedalen treten, um das Rad am drehen zu halten und vor dem Umfallen zu bewahren. Und wenn man doch absteigen will, muss man sich vorsehen, um nicht unter die anderen Räder zu geraten.


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