Obama in Moskau – kleiner, dreifacher Nachschlag

Inzwischen sind alle weg, in Italien (außer Hu Jintao, der andere, größere Probleme hat). Bleibt noch ein kleiner, dreiteiliger Nachschlag zum ersten Obamabesuch in Moskau.

Zuerst zur russischen Opposition, von der noch gar nicht die Rede war. Immerhin verbrachte Barack Obama gestern einen halben Tag unter für russische Verhältnisse erstaunlich öffentlichen Augen und Ohren mit Kremlkritikern. Erst traf er sich mit NGO-VertreterInnen, dann mit Repräsentanten der politischen Opposition. Schon zuvor, bei seiner Rede in der New Economic School, hatte Obama den dann durchgehaltenen Ton gesetzt. Erst einmal: Alle Fehler der vergangenen Jahre (und das waren ja wirklich nicht wenige) zuzugeben, Zusammenarbeit anzubieten und für die Zukunft zu versprechen, erst zuzuhören und dann zu entscheiden. Das gelang so gut, dass, ich schrieb gestern schon darüber, selbst die finstersten Hardliner honigkuchenstrahlend nur noch ihr „endlich geben sie [die Amerikaner, JS] zu, dass wir Recht haben“ in alle Kameras flöteten. Ob sie dabei an die Aufrichtigkeit von Obamas Worten glaubten oder nicht, ist vorerst unwichtig. Solch ein Triumpf will tief ausgekostet sein.

Vielleicht auch deshalb gab es von russischer Seite auch kaum Kritik an dem, was Obama immer mit großer Selbstverständlichkeit hinzufügte, nämlich dass er auch für Russland Demokratie, Menschenrechte, vor allem aber einen wirklichen Rechtsstaat (er bezog sich dabei direkt auf Medwedjew) für das Beste halte. So geriet die Selbstkritik nicht zur Selbstanklage, sondern zur Voraussetzung, das an sich selbstverständliche fordern zu können. Eine schwierige Balance, die sicher auch gelang, weil der Mann so furchtbar einnehmend zu lächeln und zu reden versteht. Er wirkte, durchaus und umso mehr im Gegensatz zu Putins grundsätzlicher Angespanntheit und Medwedjews kinngereckter Musterschülerhaftigkeit, niemals fehl am Platz (selbst beim orthodoxen Patriarchen), ganz so als sei es sein eigenes Land, in das er gekommen war. In der Darstellung also war der Besuch ein voller Erfolg, und das war wohl auch das wichtigste Ziel.

Obamas Gesprächspartner von der russischen Opposition – und zwar sowohl der, die sich auch Opposition nennt (u.a. Kasparow, Nemzow, Sjuganow) als auch der, die dieses Label aus guten Vorsichtsgründen eher meidet (also die NGO-VertreterInnen) – waren auch durchaus zufrieden. Sie konnten allerlei Anregungen und Wünsche vorbringen und waren, gemessen an ihren anschließenden öffentlichen Äußerungen, durchaus zufrieden.

Zu guter Letzt haben Medwedjew und Obama auch noch eine gemeinsame Kommission gegründet, die regelmäßig tagen und in der Russen und Amerikaner über viele unterscheidliche Themen diskutieren sollen. Der deutsch-russische Petersburger Dialog wurde als gutes Beispiel genannt, wie so etwas aussehen und erfolgreich sein könne. Nun sind Verdienste, Sinn und Nutzen des Petersburger Dialogs jenseits der blanken Tatsache seiner Existenz durchaus umstritten. Während über die Jahre deutsche Klagen über die übermäßige Kremlorientierung der russischen TeilnehmerInnen dazu geführt hat, dass inzwischen auch VertreterInnen von zum Beispiel Memorial regelmäßig eingeladen werden, wird die Pluralität auf deutscher Seite Stück für Stück ausgedünnt. Auch die russisch-amerikanische Kommission hat einen Geburtfehler. Der heißt Wladislaw Surkow, soll Co-Vorsitzender werden und ist im Hauptberuf als stellvertretender Leiter der Präsidentenadminstration für das Lenken der russischen Demokratie zuständig. Jewgenij Gontmacher hat ihn jüngst den „Suslow von heute“ genannt. Viel Spass! Wichtiger als solch höchstoffizielle Verrichtungen sind ohnehin vielen und lebendigen Kontakte auf allen Ebenen, die es lange gibt und die sich längst nicht mehr in von Regierungen vorgegebene Schemen pressen lassen, auch die Unterstützung von oben kaum noch brauchen. Eine kleinen Einblick gibt für den deutschsprächigen Raum die sogenannte JOE-List, eine Mailingsliste und Austauschplattform für „Junge Osteuropa-Experten“, wobei das „jung“ nicht so ernst genommen zu werden braucht. Selbst ein kurzer Besuch lohnt durchaus.

Als Zweites zu den ungelöst gebliebenen Fragen: Das sind eigentlich alle. Wirklich belastbare Ergebnisse hat der Besuch von Obama nicht gebracht, wenn man von den US-Überflugrechten nach Afghanistan einmal absieht. Aber dafür hätte das alles nicht veranstaltet zu werden brauchen. Doch gab es, auf beiden Seiten, überhaupt das Ziel, mehr als nur gutes Wetter zu machen? Wohl eher nicht. Stil war diesmal alles, Inhalt fast nichts. Weder Russland noch die USA haben in wichtigen Streitpunkten irgendwelche verbindlichen Zusagen gemacht. Obama hat keine Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr oder gar die Beendigung des Programms versprochen, nur dessen Überprüfung. Putin und Medwedjew hingegen haben schon vor Obamas Ankunft zu verstehen gegeben, dass eine sustantielle Hilfe Russland in Bezug auf das iranische Atomprogramm nicht erwartet werden sollte. Die USA bestehen weiter darauf, dass die unmittelbare Nachbarschaft Russlands „keine privilegierte Einflusssphäre“ sei. Russland warnt weiter davor, westliche Insititutionen wie die NATO dorthin auszudehnen. Ob das neuerdings gute Wetter anhält, werden die Zukunft und, vielleicht, Ende und Ergebnis der Wirtschaftskrise zeigen. Bis dahin setzen wohl beide Seiten darauf, dass die jeweils andere sich ändert. Die russische Führung hofft immer noch darauf, dass die USA weiter geschwächt aus der Krise hervorgehen, sie selbst hingegen bald wieder von anziehenden Rohstoffpreisen profitieren werden.Obama scheint sich dafür entschieden zu haben, auf ein langsames Erstarken Medwedjews im russischen Machtsystem zu setzen.

Damit sind wir beim dritten Nachschlag, der Frage, wer, Putin oder Medwedjew, mittelfristig der Boss in Russland ist und ob das überhaupt einen Unterschied macht. Vorige Woche schien es als ob der bisher so überlegte und souveräne Obama einen ersten groben Fehler gemacht habe. Obama lobte in einem AP-Interview Medwedjew, nannte Putin hingegen einen jemanden, der mit einem Fuß noch in der alten Kalte-Kriegs-Mentalität stehe. Putin konterte umgehend, wie so oft volksnah formulierend, aber trotzdem untypisch sanft, er stehe mit beiden Beinen in der heutigen Realität. Der erste Moskau-Besuch Barack Obamas schien einen kurzen Moment lang misstönend zu beginnen. Doch das offensichtlich überragende Interesse auch Putins und Medwedjews an einem Gelingen des laut anvisierten Neustarts der US-russischen Beziehungen behielt Oberhand. Dass sich Obama im AP-Interview aber nicht versprochen oder unvorsichtig formuliert hatte, zeigte sich hier in Moskau. Protokollarisch völlig korrekt, machtmäßig aber eigentlich verkehrt, kümmerte sich Obama vor allem um Medwedjew, traf sich zweimal mit ihm, scherzte, lächelte, charmierte. Putin blieb in der zweiten Reihe. Es war das erste mal seit dem Wechsel im Kreml vor einem Jahr, dass Putin wirklich als der Zweite erschien und nicht als der wahre Strippenzieher ein wenig im Hintergrund. Das war auf jeden Fall eine riskante Entscheidung. Doch scheinen Obamas Berater zu dem Schlsus gekommen zu sein, dass das bei einem Gipfel, der ohnehin nicht auf konkrete Ergebnisse in wirklich harten und strittigen Fragen aus ist, nicht schaden kann, aber vielleicht, später einmal, hilft. Ich schließe mich allerdings eher der Meinung von Anne Appelbaum an, heute in der Washington Post unter „Obama Puts Medvedev Ahead of Putin“ kundgetan: „The upside of this policy is that it might make Medvedev more powerful, though this is a rather naive and forlorn hope. The downside is that Putin might take offense at being ignored. But given that Putin appears to be generally offended all the time, no matter how often or how sweetly U.S. presidents talk to him, this latter concern seems rather beside the point.“

 

 

 


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