Obama-Pirouetten machen Schwanensee

Atomare Abrüstungswillenserklärung, Afghanistan-Überflugrechte, Überprüfung der Raketenabwehr, russischer WTO-Beitritt, Jackson-Vanik Amendment. Man könnte fast schwindlig werden, angesichts der vielen Themen, die gestern und heute von „unlösbar“ und „unmöglich“ zu „schaun wir mal“ und „kriegen wir hin“ verschoben wurden. Und alle machten gute Miene zum guten Spiel. Der Gast pirouettiert brilliant wie bisher (fast) immer. Beide Gastgeber, bad guy wie good guy, machen ebenfalls gute Miene und alles ist, als ob nichts gewesen wäre. Kein Ende der Sowjetunion; keine Sieg/keine Niederlage im Kalten Krieg; keine Hybris/keine narzistische Kränkung; kein Angebot zur Hilfe ihm Krieg gegen den Terror und seine beiläufige Ablehnung; (fast) keine Raketenabwehr; und schon gar kein Georgienkrieg mehr. Alles weg.

Ein Window of Opportunity wurde weit aufgeschlagen, aber es gibt viele kräftige Winde, es rasch wieder krachend zuzuwehen. Warum aber waren Gastgeber und Gast so überaus freundlich gestimmt, so unwahrscheinlich und, zumindest auf russischer Seite ungewohnt konstruktiv? Die Gründe sind verschieden. Und niemand weiß, wie lange sie gelten werden. Ich fange mit Obamas an, weil das einfacher ist. Freundlich zu sein, zuzuhören, Lob zu verteilen, zu verstehen, Angebote zu machen ist bisher Obamas außenpolitisches Credo. Es geht darum, die von und unter Bush überall auf der Welt geschlagenen Wunden zu heilen. Da macht Russland keine Ausnahme. Entsprechend ähnlich in ihrer Struktur war die Rede Obamas heute in Moskau an die Russen der vor einigen Wochen in Kairo an die islamische Welt. Obama baut am Fundament, von dem aus US-amerikanische Politik überhaupt erst wieder wirksam werden kann. Er baute daran auch in Moskau. Und trotzdem selbst ein paar Obama-Pirouetten noch keinen Schwanensee machen, ist das angekommen. Ganz unüblich hat das kremlkontrollierte Fernsehen Obama im Original sprechen lassen und nicht als geschönte Paraphrase, wie sonst bei ausländischen und oppositionellen Politkern üblich. Obama sagte soviel für russische Ohren Angenehmes, dass Zensur einfach nicht nötig war. Er sagte zwar auch durchaus Kritisches, zeigte sich mit manchem Russischen nicht einverstanden, aber das ging weitgehend unter.

Dort wo es nicht nur um gute Worte ging, sondern um harte Politik konzentrierte Obama sich auf Themen, in denen es die meisten Gemeinsamkeiten gibt. Das gilt vor allem für die atomare Abrüstung und Afghanistan. Der US-amerikanische Präsident braucht, vor allem als Rechtfertigung zu Hause, neben seiner Good-Will-Mission auch einige vorzeigbare Erfolge. Aus Russland nimmt er zumindest eine große Hoffnung darauf mit (und mit den militärischen Überflug- und Landtransportrechten nach Afghanistan zumindest ein handfestes Ergebnis). Doch warum spielten Medwedjew und vor allem Putin mit? Grundsätzlich natürlich, weil das seit Jahresbeginn, seit die Wirtschaftskrise auch im Kremlbewusstsein richtig angekommen ist (siehe meinen Blogeintrag „Wie stabil ist das Putin-Regime?“ vom 2. Mai 2009), die Generallinie ist. Trotz der Unentschiedenheit, ob man nun Freund oder Feind des Westens sein will, haben sich Putin und Medwedjew vorerst dazu entschlossen, international freundlicher zu sein, wenn auch ohne grundsätzliche Zugeständnisse zu machen. Erst muss die Krise überstanden sein, die in Russland wegen der enormen Abhängigkeit von Rohstoffexporten noch tiefer ausfällt als anderswo.

Im Detail aber, weil sich die US-Politik unter Obama nicht nur verbal, also eigentlich nicht wirklich, sondern tatsächlich verändert. Wenn Obama die Raketenabwehr auf den Prüfstand stellt oder davon spricht, dass heutzutage keine noch so starke Großmacht mehr ihren Willen anderen Ländern aufzwingen kann, dann entspricht das seiner Überzeugung. In russischen Ohren kommt es aber so an, als ob man selbst ihn überzeugt hätte. Russische Kommentare selbst schärfster Falken wie Dmitrij Rogosin, Botschafter bei der NATO, oder von Molotow-Enkel Wjatscheslaw Nikonow lauteten übereinstimmend triumphierend: Jetzt sagte der, was wir immer gesagt haben. Selbst auf die gegenwärtig wundeste russische Stelle schmierte Obama Balsam als er Leiden und Beitrag der Sowjetunion am Sieg über das nationalsozialistische Deutschland höher stellte als die der USA. Was soll man da auch noch sagen, wenn seit Jahr und Tag darüber gewettert wird, der Westen fälsche die Geschichte und wolle Russland das Heiligste, seinen entscheidenden Beitrag zur Rettung der Welt, den mit Millionen Toten erlittenen Sieg im Großen Vaterländischen Krieg nehmen, wenn extra, gegen Schimpf und Schande aus dem Ausland eine Wahrheitskommission eingerichtet wird – und dann kommt ein US-Präsident daher und sagt, ihr habt Recht. Zwar machen das auch Deutsche oft und zu Recht. Aber ein US-Präsident hat uns gegenüber den großen Vorteil weder der Schwäche noch des schlechten Gewissens geziehen zu werden.

Ist das nun von Dauer? Das ist schwer zu sagen. Bevor die Umfrager nicht ausgeschwärmt sind, um heraus zu finde, ob auch Russland von der Obamania ergriffen worden ist (unwahrscheinlich!) und ob sich der grottenschlechte Ruf der USA wenigstens ein wenig gebessert hat, sind alle Aussagen schwierig. Sowieso hängt in Russland weniger als anderswo von Volkesstimmung und mehr als anderswo von eine doch zahlenmäßig doch recht kleinen politischen Elite ab. Und die hat sich unter Putin in den vergangenen Jahren vor allem an den USA gerieben. Es wird Phantomschmerzen hervorrufen, wenn das bisherige Reich des Bösen plötzlich nur noch flötentönt. Einige Kommentatoren haben sie schon. Zudem kommen nach den luftigen Höhen des Gipfels bald die ermüdenden Mühen der Ebenen. Die wirklich strittigen Themen blieben gestern und heute zumindest öffentlich außen vor. Obama hat das freundlich so ausgedrückt: Man werde nicht alle Meinungsverschiedenheiten ausräumen können. Mal sehen, was passiert, wenn dieser Punkt erreicht wird.

 

 


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