Obama und Medwedjew – Beginn einer neuen Abrüstungsrunde?

Gleich am ersten Tag des Besuchs von Barack Obama in Moskau haben der US-Präsident und der russische Präsident Dmitrij Medwedjew eine Art Absichtserklärung unterzeichnet, den im Dezember auslaufenden Vertrag über die Begrenzung von strategischen Atomwaffen (START) durch einen neuen, weitergehenden Vertrag zu ersetzen. Auch die ersten neuen Zahlen wurden bekannt. Demnach soll die Obergrenze für die Anzahl der Sprengköpfe und der Trägersysteme (Raketensilos an Land, auf U-Booten und Bomber) jeweils um rund ein Drittel auf maximal 1675 beziehungsweise 1100 gesenkt werden. Das hört sich gut an, wie ein wirklicher erster Schritt zum vielzitierten „Neustart“ der Beziehungen zwischen Russland un den USA durch das Drücken des Reset Buttons. Gleichzeitig vereinbarten zudem in bezug auf afghanistan zusammen zu arbeiten. Dabei geht es insbesondere um den US-amerikanischen Nachschub, der künftig, wie schon der per Transit durch Russland am Boden oder den russischen Luftraum nach Afghanistan gelangen kann. Dazu gab es gute Worte von Dmitrij Medwedjew, der lobte, die USA hätten sich auch in Sachen Raketenabwehr bewegt, indem sie die Stationierung in Polen und in Tschechien erneut prüfen würden. Außerdem sei die Raketenabwehr als ein integraler Bestandteil der atomaren Abrüstung in die heutige vereinbarung aufgenommen worden. Für die gute Stimmung ist also etwas getan und fast sah es wieder so aus wie in den seeligen 1970er Jahren, als die USA und die Sowjetunion sich die Herrschaft der Welt teilten.

Doch nur fast. Denn erstens sind viel Jahre vergangen und zweitens gibt es die Sowjetunion nicht mehr. Von geteilter Weltherrschaft kann also keine Rede sein. Und drittens ist außer guter Stimmung noch nichts wirklich Substantielles geschehen. Alle Schwierigkeiten liegen noch vor den verhandlern. Das heute unterzeichnete Dokument ist nicht mehr als eine Absichtserklärung, nicht völkerrechtlich, sondern höchsten politisch bindend. Die probleme, zu einer wirklichen Erneuerung in der atomaren Abrüstung und in den US-Russland-Beziehungen zu kommen, liegen in den Details.

Da ist sind zum einen die neuen Obergrenzen. Die sind so ambitioniert nicht. Selbst offiziell hat Russland die USA davon in Kenntnis gesetzt, dass es noch über 814 atomaren Sprengköpfe und rund 600 Trägersysteme verfügt. Das ist weit weniger als im neuen Vertrag als Obergrenze festgeschrieben werden soll. Zudem schätzen Militärexperten, dass die russische Armee in Wirklichkeit über noch weniger einsatzbereite strategische Nuklearwaffen verfügt. Russland kann die neuen Vereinbarungen als erfüllen, ohne überhaupt etwas zu tun.

Doch auch die USA sind mit ihren bisher eingegangenen Verpflichtungen auf der sicheren Seite. Die Stationierung der Raketenabwehr in Mitteleuropa wird bisher nur geprüft, ebenso wie eine Zusammenarbeit mit Russland auf diesem Gebiet. Das ist ein neuer Anfang, mehr aber noch nicht. Die Forschungen und Entwicklungen in den USA gehen weiter. Rusland hat dem mit seinen vergleichweise geringen Mitteln und technologischen Möglichkeiten trotz allen Säbelgerassels wenig entgegen zu setzen. Solange zudem der Iran, Nordkorea und andere eher unberechenbare Länder Atomwaffen und Trägersysteme entwickeln wird keine US-Regierung die Pläne zu einer Raketenabwehr aufgeben. Während die nordkoreanischen Atomraketen des undurchsichtigen Kim aber auch in Moskau Unbehagen bereiten, kann das Gleiche über eine mögliche iranische Atombombe kaum gesagt werden. Aus welchen Gründen auch immer (Gas-OPEC, Trumpf den USA gegenüber, Regionalmachtspiele am öl- und gasreichen Kaspischen Meer) scheinen Putin und Medwedjew entschlossen zu sein, sich an nichts zu beteiligen, das direkt gegen den Iran gerichtet ist. Eine Einigung ist hier nicht einmal annähernd in Sicht.

Doch selbst gesetzt den Fall, all diese Probleme würden durch die Unterhändler in den kommenden Monaten bis zum Auslaufen des START-Vertrags am 5. Dezember 2009 gelöst und einer neuer Vertrag unterschrieben, dann würde eine der sympathischsten Visionen Barack Obamas weitere Abrüstungsschritte sehr unwahrscheinlich machen: die einer atomwaffenfreien Welt. Entgegen aller öffentlichen Vericherungen kann die russische Führung unter Putin kein Interesse an vollständiger atomarer Abrüstung haben. Jede atomare Abrüstung unter die Möglichkeit der gegenseitigen Vernichtung würde die russische Position enorm schwächen und die US-amerikanische stärken. Darin mag sogar einer der Gründe für Obamas Initiative liegen. In einer atomwaffenfreien Welt wächst die Macht der überragenden konventionellen Militärmacht, also der USA. Die russische Armee hat zuletzt vor einem Jahr im kleinen Krieg gegen Georgien gezeigt, in welch schlechtem Zustand sie ist. Sie spielt strategisch noch eine regionale, aber schon lange keine weltweite Rolle mehr. Die Rolle eines weltweiten militärischen Machtfaktors hat Russland ausschließlich wegen seines von der Sowjetunion ererbten strategischen Atomwaffenarsenals inne. Es ist schlechterdings unvorstellbar, dass Putin und Medwedjew darauf einlassen, diesen Trumpf aus der Hand zu geben.


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