Gemeingefährliche Justiz – der Fall des Aktionskünstlers Artjom Loskutov aus Nowosibirsk

Schon vor zwei Monaten habe ich darüber geschrieben, dass die Gelenkte Demokratie nicht nur undemokratisch, sondern auch jenseits des Nordkaukasus gemeingefährlich ist. Alltäglich bekommen das Menschen im Land zu spüren, die in die wider mächtigen, vor allem aber unkontrollierten (und vor allem deshalb hoch korrumpierten) Fänge der Bürokratie geraten, sei es die Miliz, die Wohnungsverwaltung, das Krankenhaus oder, für Ausländer, der Föderale Migrationsdienst. Das passiert alles ganz selbstverständlich so nebenbei und wird von den Leuten meist mit einem halb fatalistischen, halb selbstschützenden „normalno“ abgetan.

Schlimmer wird es, wenn man jemandem auf die Füße getreten hat, wie das bei Artjom Loskutov wohl der Fall gewesen ist. Artem Loskutov ist ein druchaus nicht unbekannter zeitgenössischer Aktions- und Videokünstler aus Novosibirsk. Er wurde am 15. Mai 2009 stilgerecht von einer Antiextremismuseinheit der russischen Miliz festgenommen. Ihm werden, sehr beliebt heute in Russland, „extremistische Vorbereitungen“ und Drogenbesitz vorgeworfen. Der eigentliche Grund für die Festnahme dürften aber die unbequemen Fragen sein, die er stellt, und das auch noch öffentlich.

Seit fünf Jahren veranstaltete Artjom Loskutov gemeinsam mit anderen in Nowosibirsk „alternative 1.-Mai-Demonstrationen“ genannte politische Happenings. Mit scheinbar absurden Fragen zur russischen Normalität versuchten die Veranstalter, die sich „Babuschka polse pochrany“ (deutsch etwa: Die Oma nach dem Begräbnis“) nennt die Menschen unter dem Motto „Das Absurde der Macht kann nur mit Absurdem beantwortet werden“ zum Denken anzuregen.  Andere Parolen sind: „Es kann nur eine Antwort auf den unendlich vielfältigen Appetit der Macht geben: Die Zukunft gehört unserem Lachen!“; „Spülen Sie, wenn Sie
fertig sind!“; „Wo bin ich?“ und „Gehirne für das Volk“. Die politischen Kunstaktionen der Gruppe haben auch international schon Interesse erregt. So waren die Arbeiten zum Beispiel auf der Documenta 12 und der Moskauer Biennale 2008 vertreten. Auch die BBC und der Deutschlandfunk berichteten.

Doch soviel Eigensinn ist in Russland heute für viel, vor allem an der Macht befindliche, schwer erträglich. Nun reagierte die Staatsanwaltschaft nach dem Prinzip: maximale Strafandrohung auf Grund oberflächlicher Beschuldigungen. Lokutovs Verteidiger Valentin Demidenko bezeichnete das Verfahren als „von Lücken, Lügen und Fehler durchzogen“. So existiert eine Hochschule gar nicht, an der Artjom Drogen verteilt haben soll, und sein angeblicher Komplize, gegen den ebenfalls ermittelt wird, lebt seit Jahren im Ausland. Kurz: Alles sieht nach einem, leider inzwischen wieder durchaus üblichen, fabrizierten Verfahren aus. Artjom Loskutov drohen nun drei Jahre Gefängnis.

Damit steht er bei weitem nicht allein. In Moskau läuft der zweite Prozess gegen Michail Chodorkowskij und Platon Lebedew. Mögliches Resultat: weitere 22 Jahre Lagerhaft. In Jekaterinburg wurde vor Kurzem der Menschenrechtler Alexej Sokolow unter offensichtlich erfunden Anschuldigungen verhaftet. Auch die Durchsuchung von Memorial in St. Petersburg mit der Beschlagnahme der Computerfestplatten gehört in diese Reihe. Wohl nur die große internationale Bekannheit von Memorial hat die MitarbeiterInnen davor geschützt, auch im Untersuchungsgefängnis zu landen. Die Beschuldigungen bezogen sich auf den gleichen Extremismus-Paragraphen wie bei Artjom Loskutov. Das ist die politische Seite eines nicht unabhängigen Justizsystems, in dem die Staatsanwaltschaft immer stärker wird (über 98 Prozent aller Urteilsanträge der Staatsanwaltschaft werden von den Gerichten bestätigt).

Es kann aber auch „ganz normale“ Menschen treffen: Die ehemalige Ehefrau, die Unterhalt fordert und deren Mann gute Kontakte oder viel Geld hat; der unliebsame Geschäftskonkurrent oder die Unternehmerin, die sich partout weigert, Schutzgeld zu zahlen (wobei die Schutzgelderpresser manhcmal vom Staat ein Nebengehalt beziehen und manchmal nicht).

Gegen all dieses Unrecht hilft nur Öffentlichkeit. Öffentlichkeit, die in Russland aber eingeschränkt ist. Deshalb ist oft internationale Öffentlichkeit der letzte Ausweg. Trotz aller Muskelspiele ist den russischen Machthabern, je höher, desto mehr, interntionales und öffentliches „Shame and Blame“ weiter peinlich, zumindest aber unangenehm bis unpraktisch.     

Weitere Informationen zur Verhaftung von Artjom Loskutov:

Süddeutsche Zeitung: De-Monstration der Macht

Deutschlandradio: Denke global, handle idiotisch

SWR: „BU GA GA!“. Junge Aktionskünstler aus Nowosibirsk

delphinov.net

Free Artem Loskutov


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