Medwedjew will nicht Putin sein – jedenfalls ein bisschen

Fast ein Jahr lang hing der russisch-präsidiale „Rat zur Mitwirkung an der Entwicklung der Institute von Zivilgesellschaft und Menscherechten“ in der Luft. Nach Wladimir Putins Wechsel vom Kreml in den Regierungssitz Weißes Haus fehlte ihm die rechtliche Grundlage. Nachfolger Dmitrij Medwejew rang sich lange nicht dazu durch, ihn erneut zu berufen. Nun gibt es ihn wieder. Und oppositioneller als zuvor. Oppositioneller? In Russland? Beim Kreml? Hört sich wie ein großer Widerspruch an, ist aber nur eine der durchaus normalen Nuancen im großen Moskauer Monopoly-Polit-Spiel. Der Rat mit dem unmerkbaren Namen (selbst ich muss jedes mal auf der Kreml-Website nachschauen, um nicht einen Teil zu vergessen oder zu verwechseln. Meist wird er deshalb nach seiner Vorsitzenden kurz Pamfilowa-Rat genannt), war schon unter Putin eine der letzten Halbinstitutionen („halb“, weil nicht per Gesetz, sondern per jederzeit widerrufbarem Ukas eingerichtet), in der (Kremljargon!) „unkonstruktive“ NGO-VertreterInnen saßen. Der Rat war, was in Russland heute ein „Kommunikationskanal“ von unten nach oben, vom „Volk“ zur „Macht“ genannt wird. Davon gibt es nur sehr wenige, im Gegensatz zur umgekehrten Richtung. Die NGO-Community konnte also via Pamfilowa-Rat denen (besser wohl: dem) da oben ab und an Botschaften zukommen lassen. Manchmal gelang es, diesen Kanal zum Schutz einzelner Menschen oder Organisationen vor Staatswillkür zu nutzen. Aber nur ganz selten und nur einmal, bei der Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes, zu mehr.

Dieser Kanal war also seit vorigen Mai zu. Nicht dass das allzusehr bemerkt worden wäre, selbst unter den NGOs nicht. Nun also neu. Im alten Rat bei Putin saßen sechs oder sieben, nennen wir sie mal Oppositionelle (was alle wissen,  im von Politikverboten strotzenden Russland aber niemand gern ausspricht, jedenfalls nicht zu laut oder zu öffentlich), jetzt sind es mehr als doppelt so viele. Sie wurden nach langen Beratungen handverlesen ausgesucht. Mit Blick auf die gehandelten KandidatInnen scheint wenig Scheu vor öffentlichen und  kritischen Äußerungen geradezu ein Auswahlkriterium gewesen zu sein. Die Wiederbelebung des Pamfilowa-Rats ist allein Anschein nach also ein Signal Medwedjews. Zwei Botschaften dürften damit in die russische, aber auch in die westliche Welt ausgesandt worden sein. Zum einen möchte uns Medwejew sagen: Schaut her, ich bin doch (trotz des Georgienkriegs!) liberal. Zumindest liberaler als ihr alle gedacht habt. Denn wer von so viel versammeltem Widerspruch Rat erbittet, kann ja so verstockt nicht sein. Das ist die Botschaft nach außen. Die Botschaft nach innen heißt: Ich bin nicht Putin. Jedenfalls nicht ganz. Ganz vorsichtig und ganz langsam, ohne allzuviel Zweifel an seiner Loyaklität zum Vorgänger und Aufpasser aufkommen zu lassen, setzt sich Medwedjew ab. Bauen sollte man darauf nicht. Niemand weiß ob das nicht nur ein Spiel ist. Wohl auch die Spieler ganz oben nicht, die sich sowieso so wenig wie möglich in die Karten schauen lassen und immer ein paar Karten im Ärmel haben.

Artikel zum Rat auf der russischsprachigen Menschrechts-Website hro.org

Liste der Mitglieder des Pamfilowa-Rates auf der Website des russischen Präsidenten (auf Russisch)


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